Gedankenaustausch
Wir haben uns ja schon lange darüber unterhalten, mal über ein Kinder- oder Jugendbuch schreiben zu wollen. Wenn ich in Buchhandlungen Romane in der Hand halte, in denen depressive Mädchen mit langen schwarzen Haaren und in der letzten Reihe Totenköpfe in den Mathehefter kritzeln, könnte ich kotzen. Ich möchte nämlich kein Buch mehr lesen und keinen Film mehr schauen, in dem die psychische Erkrankung ein „add on“ ist, um die Story interessanter zu machen.
Wir wollten wissen, ob es auch anders geht, ohne das ständige reproduzieren von ätzenden Klischees. Also haben wir uns das Jugendbuch „Nur ein wenig Angst“ ausgesucht - das wurde dieses Jahr sogar für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Ich fasse mal zusammen: In dem Buch „Nur ein wenig Angst“ von Alexander Kielland Kran geht es um den 17-Jährigen Cornelius, der an einem Samstagabend zwischen lauter Musik, Bier und seinen besten Freunden plötzlich seine erste Panikattacke erlebt. Der Roman ist in seiner ganz eigenen Ästhetik geschrieben: mit nur wenigen, aber dafür ausdrucksstarken Sätzen, die den Leidensdruck einer Angststörung besonders deutlich machen.
Der Schreibstil ist wirklich besonders und spielt mit Verkürzungen und Unterbrechungen. Oft fand ich das super passend zu der Thematik, eine Angststörung verläuft eben auch nicht planbar und logisch. An anderen Stellen hat es für mich aber verhindert, richtig mitzufühlen. Ich habe eher von außen auf den Protagonisten geschaut, die Schreib-Technik mehr analytisch wahrgenommen, als mich ganz einfangen zu lassen davon.
Auf der inhaltlichen Ebene waren die Thematiken von Scham und Angst vor Verurteilung besonders herausgestellt. Dabei ging es auch um die Angst vor der Angst - also die ständige Angst vor der nächsten Panik- oder Angst-Attacke.
Angst- und Panikattacken gehören laut der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (kurz ICD, aktuell ICD-11) zu den Symptomen einer Angst- oder Panikstörung. Eine Panikattacke beschreibt das plötzliche Auftreten einer psychischen und körperlichen Alamreaktion - ohne, dass es dafür einen objektiven Anlass gibt. Für viele Menschen bedeutet das konkret: Atemnot und Hyperventilation, Schwindel und Hitzewallungen, bis zu dem Gefühl, zu sterben. Dieser Zustand, der sich für Betroffene ewig anfühlen kann, dauert tatsächlich meistens gar nicht so lang, einfach, weil der Körper diesen anstrengenden Zustand gar nicht so lange aufrechterhalten kann.
Diese Gefühle werden in dem Roman sehr intensiv dargestellt: die Panikattacken, das Erholen davon und das Verstecken. Das bleibt aber nicht so stehen, sondern wird aufgelöst: durch die Öffnung des Protagonisten und dadurch, dass er sich anderen Anvertraut, verändert sich etwas für ihn: „Ich habe Sturm in mir, aber um mich herum ist die Landschaft verändert: Es gibt Sicherheit - hohe Bäume mit langen Zweigen, die Schutz vor den Elementen bieten“, heißt es.
Der Roman geht also auch auf Unterstützung und Ressourcen ein: Psychotherapie, Freundschaft, aber auch Medikamente. Das ist eine umfassende Darstellung. Trotzdem: manchmal ging mir das alles ein wenig zu glatt, dieser Besserungsweg.
Cornelius kommt aus gutem Hause. Seine Eltern machen sich schnell Sorgen um ihn, sein Vater sucht das Gespräch. Cornelius, der selbst erstmal nicht weiß, was mit ihm los ist, erklärt seine Angst meist mit Unwetter-Metaphern. Der Vater checkt, was los ist und ruft einen Arzt an.
In diesem Gespräch berichtet Cornelius das allererste Mal explizit von seinen Panikattacken. „Der Arzt sagt, ich solle nett zu mir sein, ich weiß nicht, was das bedeutet“, beschreibt er. Später bekommt er „Pillen“, die er vor seinen Freunden versteckt, die ihm aber helfen. Dann folgt die Psychotherapie.
Wie nimmst du die Rolle der Therapie in dem Roman wahr?
Ich hatte den Eindruck, dass dabei vor allem das Konzept der Konfrontation und Exposition deutlich gemacht werden sollte. Bei der Behandlung von Angststörungen, ist eine „Exposition“, also eine gezielte Konfrontation mit dem, was die betroffene Person ängstigt oder vermeidet, besonders relevant. Dabei übt die Person, die Angst schrittweise zu überwinden, indem sie sich den angstauslösenden Situationen oder Gedanken bewusst und unter therapeutischer Begleitung stellt. „Der einzige Weg hinaus, führt mitten hindurch“, sagt Cornelius Therapeutin im Buch.
Angststörungen werden oft mit kognitiver Verhaltenstherapie behandelt.
Zu der Therapiearbeit gehört es in dem Roman auch, dass sich die Hauptfigur seinen Freunden anvertraut.
Die ersten Person, bei der Cornelius das dann tatsächlich tut, ist seine Klassenkameradin Lea. Sie fällt unter die Kategorie „besorgte Frau“ und gehört zum unausgesprochenen Club der „Psychos“, da ihr Bruder in einer Psychiatrie war. Sie hakt bei Cornelius nach und bietet ihm an, mit ihr zu sprechen.
Das ist nicht frei von Klischees. Trotzdem habe ich die Beschreibungen der Freundschaften sehr gerne gelesen und fand sie irgendwie auch wholesome. Wie schwer es sein kann, sich selbst zu zeigen, selbst vor so nahestehenden Menschen, habe ich als sehr authentisch wahrgenommen - und besonders schön auch in den männlichen Freundschaften aufgegriffen, gerade weil es da auch um die Thematik des Vorurteils geht, dass Männer nicht über Gefühle reden würden.
Was ist dein abschließender Eindruck?
Zuallererst fand ich es gut, ein Buch zu lesen, in dem ein „ganz normaler“ 17-Jähriger mit einer psychischen Erkrankung, hier einer Angst- und Panikstörung, umgehen muss. So wurde die Erfahrung der Erkrankung nahbar gemacht, ohne Trauma-Dumping, oder Tumblr-Ästhetisierung. Das zeigt gut, was eine Angststörung ist: nämlich eine Krankheit, die jede:n treffen kann. Und eben auch die Hauptfigur könnte jede:r sein. Das ist gleichzeitig Stärke und Schwäche des Romans. Einerseits bietet er so leichtes Identifikationspotential, andererseits wirkt er etwas farblos. Bis auf einige Alltags-Beschreibungen erfahre ich als Leserin, bis auf die Krankheit, wenig über ihn. Das hat sich dann manchmal so angefühlt, als wäre zuerst die Idee da gewesen, ein Buch über eine Angststörung zu schreiben und die Figur schließlich als Mittel zum Zweck entstanden. Das finde ich schade, denn so wird die Angst doch zum Charakter gemacht.
Das sehe ich genau so! Wo wir gerade von Kinder- und Jugendliteratur, die das Thema Angst aufgreift sprechen… Ich hab da schon eins im Regal stehen;) aber dazu im nächsten Chat mehr!
Hinweis: Das Buch wurde den Leserinnen vom Atrium Verlag zur Verfügung gestellt.