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Valeska Pape Kognitive Verhaltenstherapie

Psychologische Psychotherapeutin Valeska Pape über kognitive Verhaltenstherapie in der Praxis

Wie läuft kognitive Verhaltenstherapie praktisch ab?

Wie die Theorie hinter der kognitiven Verhaltenstherapie aussieht, hat die psychologische Psychotherapeutin Valeska Pape im letzten Blogpost “Was ist eigentlich kognitive Verhaltenstherapie?” erklärt. Wie eine klassische Therapiestunde aussieht, für wen diese Therapieform besonders wirksam ist und warum mehr über psychische Erkrankungen gesprochen werden sollte, erklärt sie in Teil zwei des Interviews.

Inhalt

Kognitive Verhaltenstherapie in der Praxis

Semikolon: Wie sieht eine klassische Therapiestunde in kognitiver Verhaltenstherapie aus?

Valeska Pape: In den ersten fünf Sitzungen wird die sogenannte therapeutische Beziehung aufgebaut, eine Diagnose gestellt und damit ein Antrag an die Krankenkasse gestellt. Dafür stellt der:die Therapeut:in viele Fragen, zum Beispiel wann die Problematik angefangen hat und welche Symptome es gibt. Danach sind die Stunden freier gestaltet. Oft geht es am Anfang der Sitzung um aktuelle Dinge und dann um grundsätzlichere Thematiken. Zu Beginn einer Therapie ist es wichtig, dass der:die Patient:in individuelle Ziele formuliert, bei deren Umsetzung ihm:ihr der:die Therapeut:in helfen soll. Diese Ziele können ganz unterschiedlich sein und müssen vor allem zur aktuellen Lebensrealität des Patienten passen, werden gemeinsam auf Realisierbarkeit geprüft werden. Ist jemand sehr belastet und kommt morgens gar nicht mehr aus dem Bett, kann es schon ein erstes Ziel sein, es einmal in der Woche zur Therapie zu schaffen.

Semikolon: Welche Rolle hat ein:e Therapeut:in in der Verhaltenstherapie?

Valeska Pape: Natürlich ist das auch eine Frage des persönlichen Stils, aber in der Verhaltenstherapie hat die Therapeutin schon den Status einer Expertin – für psychische Erkrankungen und den Weg da raus, also allgemein gesagt für Veränderungsprozesse. Man strukturiert relativ stark, führt das Gespräch und bringt Ideen und Anregungen mit ein. Zumindest am Anfang einer Therapie auch in Form von Psychoedukation, indem der:dem Patient:in Informationen über die Erkrankung und die bewährten Behandlungsansätze gegeben werden. Natürlich gibt es auch Sitzungen, in denen man vor allem zuhört und stützt, wenn das das vorrangige Bedürfnis des Patienten ist. Die Geschwindigkeit der Bearbeitung relevanter Themen muss sich an die Patienten anpassen. Wenn jemand sehr belastet kommt, haut man ihm nicht einfach Infos um die Ohren, die derjenige in dem Moment nicht aufnehmen kann, sondern sorgt erst mal für Entlastung. Im Verlauf wird dann kleinschrittig geschaut, wie der Patient/die Patientin nach und nach Veränderungen in den Alltag integrieren und besser für sich sorgen kann, so dass der:die Therapeut:in sich immer weiter in den Hintergrund zurückziehen kann und der:die Patient:in ihn schließlich gar nicht mehr braucht – das Motto lautet Hilfe zur Selbsthilfe.

Semikolon: Wie lange dauert eine Verhaltenstherapie?

Valeska Pape: Das ist unterschiedlich. Am Anfang gibt es vier oder fünf probatorische Sitzungen, in denen einen Diagnose gestellt wird. Abhängig von dieser Diagnose, der Schwere der Symptomatik und dem Grad der Chronifizierung gibt es Richtlinien, wie viele Sitzungen dafür eingeplant und bei der Krankenkasse werden. Hat jemand eigentlich viele Ressourcen, reichen manchmal schon 25 Sitzungen. Ansonsten beantragt man eine Langzeittherapie mit 45 Stunden, die man dann noch mal auf 60 oder maximal 80 Stunden verlängern kann.

Kognitive Verhaltenstherapie - für wen ist sie besonders geeignet?

Semikolon: Für wen ist eine kognitive Verhaltenstherapie besonders geeignet?

Valeska Pape: Im Grunde für jeden. Im Hinblick auf psychische Erkrankungen ist die Evidenz so, dass es z.B. für Angststörungen sehr gut belegte verhaltenstherapeutische Ansätze gibt, dazu gehören meist Konfrontationsübungen. Auch für die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine Verhaltenstherapie sehr gut geeignet, führend ist hier die dialektisch behaviorale Therapie (DBT), in deren Rahmen Patient:innen u.a. den Einsatz von Skills zur Reduktion von Anspannungszuständen erlernen und andere selbstschädigende Verhaltensweisen nach und nach aufgeben sollen. Bei Selbstverletzungsdruck kann man etwa lernen, andere sehr starke Reize einzusetzen, wie zum Beispiel auf eine Chillischote zu beißen oder sich unter eine kalte Dusche zu stellen statt sich selbst zu verletzen. Weil der Körper erst mal mit dem Reiz beschäftigt ist, kann es so gelingen, besser zurück ins hier und jetzt zu kommen und dann zu überlegen, was eigentlich gerade auf emotionaler Ebene abläuft und was man braucht, z.B. Zuwendung.

Auch bei Zwangs- oder Essstörungen und Depressionen ist Verhaltenstherapie oft gut wirksam. Einzig an der Diagnose kann man das aber nicht festmachen, es hängt auch viel davon ab, wie der Patient gestrickt ist, welche Arbeitsweise er oder sie bevorzugt.

Semikolon: Was sind Konfrontationsübungen?

Valeska Pape: Damit arbeitet man besonders bei Ängsten, zum Beispiel bei sozialen Phobien (also wenn jemand Angst hat in sozialen Situationen) oder bei Panikstörungen. Konfrontationsübungen werden nicht gleich zu Beginn einer Therapie durchgeführt, zunächst wird versucht, mit dem Patienten/ der Patientin eine Motivation dafür aufzubauen und erklärt, dass die Angst durch Vermeidungsverhalten langfristig eher größer als kleiner wird. Es hilft, sich der Angst zu stellen und die Erfahrung zu machen, dass man es übersteht und es besser wird, je öfter man es macht. Das nennt man dann Konfrontations- oder Expositionstraining. Dafür wird gemeinsam ein Plan erstellt und überlegt, mit welchen Situationen man anfängt. Am Anfang findet das „Training“ in Begleitung  des:der Therapeut:in statt, dafür ist eine gute Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in nötig.

Wenn ein:e Patient:in zum Beispiel Angst vor dem Aufzugfahren hat, dann würde man zusammen versuchen, die Panik auszuhalten, wenn sie kommt. Wenn die Panik ihren Höhepunkt erreicht hat, dann flaut sie in der Regel wieder ab. Der menschliche Organismus kann nicht für immer in Panik bleiben – auch wenn sich das für die Betroffenen in dem Moment so anfühlt, als würde es nie wieder aufhören, oder als würden sie daran sterben. In der Therapie lernt der:die Patient:in, die Situation nicht vor Erreichen dieses Punktes zu verlassen, wodurch sich die Angst immer weiter verfestigt, sondern sie auszuhalten und bewusst zu erleben, dass die Angst von selbst nachlässt. Irgendwann zieht sich der:die Therapeut:in aus den Übungen immer weiter zurück und der:die Patient:in übt alleine weiter.

Semikolon: Für wen ist kognitive Verhaltenstherapie nicht geeignet?

Valeska Pape: Bei psychiatrischen Krankheitsbildern wie Schizophrenie ist eine Verhaltenstherapie herausfordernd, aber nicht unmöglich. In ambulanter Therapie muss generell immer gewährleistet sein, dass der:die Patient:in weder akut fremd– noch selbstgefährdend ist.

Semikolon - Nachgefragt

Semikolon: Warum sollte mehr über psychische Erkrankungen gesprochen werden?

Valeska Pape: Weil statistisch gesehen jeder zweite Mensch, dem wir auf der Straße begegnen, mindestens einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung leidet, jeder dritte sogar im aktuellen Jahr. Es ist kein Randthema und keine Minderheit, die das betrifft, sondern gehört zum „normalen“ menschlichen Leben dazu. Eigentlich jeder hat zumindest mal eine schwierige Phase und mit psychischen Problemen oder Symptomen zu kämpfen und kennt Gefühle wie Ängste bis hin zu Panik und Trauer oder nutzt kleine Zwangshandlungen im Alltag, um ein Gefühl von Kontrolle zu erleben. Eine behandlungsbedürftige Störung fängt da an, wo der:die Betroffene von den Symptomen in seiner:ihrer Lebensführung eingeschränkt wird. Sich dann in einer Therapie beim Umgang damit unterstützen zu lassen, sollte das Normalste der Welt sein. Ich persönlich bin der Meinung, dass jeder und jede mindestens einmal im Leben eine Therapie oder Beratung machen sollte, einfach um sich selbst besser kennenzulernen – aber das ist natürlich auch eine Kostenfrage.

Semikolon: Was kann jede:r tun, um zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beizutragen?

Valeska Pape: Reden, reden, reden. Von sich selbst erzählen, damit es schleichend normal wird. Insgesamt sollte in der Gesellschaft mehr über Gefühle gesprochen und psychische Probleme nicht verschwiegen, sondern offen damit umgegangen werden. Die meisten Menschen, denen es aktuell nicht gut geht, sind dankbar zu hören, dass jemand anderes auch mal Probleme hat oder hatte und trauen sich in der Folge mehr, sich ebenfalls zu öffnen und Hilfe zu suchen. Außerdem macht es in einer Krise natürlich Mut, durch die Geschichten anderer zu erfahren, dass und auf welchen Wegen sie wieder heraus gekommen sind.

Dieser Beitrag wurde von einer ärztlichen Psychotherapeutin redigiert. 

Maja

Maja

“Psychische Erkrankungen begegnen uns häufiger als wir denken. Wir müssen hinsehen und darüber reden.”