Die Rapperin KeKe mit Angststörung
Sie ist drauf und dran, die Stimme einer neuen Generation zu werden, titelt die Vogue über die Wiener Rapperin KeKe, mit bürgerlichem Namen Kiara Hollatko. Die Siebenundzwanzigjährige rappt über Emanzipation, Körperklischees – und, oft im Fokus, über ihre Angst. Diese ist, wie sie selbst es in einem Lied ausdrückt, ständig da; KeKe hat eine Angststörung.
Vielleicht ist es das, was sie zur Vertreterin von Generation X und Y macht. Besonders, weil die Zahl der an Angsterkrankungen leidenden jungen Menschen in den letzten Jahren angestiegen ist. Angststörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. In 75 % der Fällen treten sie vor dem 25 Lebensjahr erstmalig auf. Durch Corona steigt die Zahl der Betroffenen noch an, im ersten Pandemiejahr um ganze 25 %, wie die WHO mitteilt.
„Warum die Angst, alle sind traurig und so, alle sind traurig und so“, rappt Keke dazu in „Paradox“, einer ihrer ersten Singles aus dem Jahr 2019. In dem Lied macht KeKe deutlich, wie sich ihre Angsterkrankung für sie anfühlt.
Der Raum um mich fühlt sich eng an / Es verklärt sich mir die Sicht / Häng’ ab von meinem Atem / Doch ringe schwer nach Luft / Die Gedanken sind zerfahren, yeah / Mein Gegenschlag verpufft
Über ihre psychische Erkrankung zu rappen, habe sich nach einer Befreiung angefühlt, so KeKe 2019. In dem Musikvideo zu “Paradox” steht die Rapperin mit kurz geschorenen Haaren auf dem Dach eines Autos, über dem Film liegt ein Schwarz-weiß-Filter. Sie hat eine weiche Stimme, der man anhört, dass sie ursprünglich Jazzgesang in Wien studiert hat. Sie tanzt mit einer Gruppe Background-Tänzern, steht auf dem Flügel eines Gleitflugzeuges – die Kulissen eines typischen HipHop-Videos, der Inhalt sehr persönlich. Nach dem Erscheinen des Liedes wird KeKe in vielen Interviews zu ihrer psychischen Erkrankung und ihren Symptomen befragt. Bei KeKe sind das unter anderem lang anhaltende Panikattacken, die aber nicht bei jeder Angsterkrankung Teil der Symptome sind.
Die Auswirkungen einer Angststörung
Bin in einem ständigen Kampf mit der Angst / Halte sie zwar auf Distanz, doch bleibe im Kampf mit der Angst / Komm’ mir nicht an, hab' mich verrannt in der Angst
Die Angsterkrankung begleitet KeKe schon lange: seitdem sie zehn Jahre alt ist, wie sie in einem Interview mit rap.de erzählt. Für an einer Angststörung Erkrankte wird die Angst zum ständigen Begleiter, wie es KeKe in Paradox erzählt. Das Gefühl der Angst wird nicht durch spezielle Situationen oder Umgebungen ausgelöst, sondern tritt ohne direkten Auslöser auf. Somit werden oftmals Alltagssituationen zur Herausforderung – zum Beispiel Fahrten mit dem Bus, Einkaufen zu gehen oder Gespräche, in denen Betroffene oft das Gefühl verspüren, ständig etwas Falsches zu sagen. „Das läuft immer mit im Alltag.“, sagt KeKe. Das Gefühl der Angst soll den Menschen eigentlich vor gefährlichen Situationen warnen und ihn schützen. Bei einer Angststörung tritt die Angst allerdings auch in objektiv betrachtet ungefährlichen Situationen auf.
Was die Auslöser für eine Angststörung sind, kann sehr unterschiedlich sein. Bei manchem Menschen spielt eine genetische Disposition eine Rolle. In diesem Fall sind im Gehirn Botenstoffe, die für Entspannung sorgen, nicht ausreichend vorhanden. Aber auch unsichere Bindungen, zum Beispiel zu den Eltern, anhaltender Stress und traumatische Erlebnisse können der Grund dafür sein. KeKe erzählt, sie habe eine schwierige Kindheit gehabt – das betrachtet sie als Auslöser ihrer Angsterkrankung.
Öffentlicher Umgang mit Mental Health als Gratwanderung
"Sie sagen ich muss nur was ändern / doch davon versteh ich nichts“
In „Paradox“ problematisiert KeKe den Umgang mit Angsterkrankungen und beschreibt das Gefühl, sich darin unverstanden und in der Angst isoliert zu fühlen.
Gegen das Gefühl des Alleinseins rappt KeKe in ihrer stets politischen Musik an. Sie möchte mehr Verständnis für Betroffene erreichen, zum Beispiel für Phasen, in denen manche Menschen aufgrund psychischer Probleme keinen 9 to 5 Job schaffen. Das sollte ihnen nicht als Faulheit ausgelegt werden, sagt sie in einem Interview.
In diesem Jahr, drei Jahre nach „Paradox“, erschien Kekes neue Single „Intro“. Seit dem Erscheinen von “Paradox” hat KeKe weitere Stücke veröffentlicht, hat mit bekannten Künstlern wie Trettmann Features aufgenommen und wurde öffentlich viel gelobt. Nun rappt KeKe wieder über Angst. Darüber, wie es ihr damit geht, in der Öffentlichkeit zu stehen und ständiger Bewertung und Erwartungen ausgesetzt zu sein: KeKe als Girlboss und als Vorbild für Bodypositivity – und für psychisch Erkrankte.
Es ging um Output und nicht was das Beste für mich ist [...] Schnell ist die Schublade aufgemacht, Trend-Thema Mental Health / Retraumatized in Interviews / Aber für sie war Mental Health nicht mehr als ein Asset
KeKe scheint mit ihrem äußeren Bild aufräumen zu wollen: Es sei nicht immer alles, wie es auf den ersten Blick aussieht. Sie postet auf Instagram Bilder, auf denen sie ihren Körper zeigt, sie spricht in Interviews über ihre Ziele und ihre Vergangenheit, sie geht auf die Bühne und performt. Ihre psychische Erkrankung ist dabei dennoch weiterhin Teil von ihr, verschwindet durch den äußeren Erfolg nicht.
Mit der Zeile „Trend Thema Mental Health“ scheint sie darauf anspielen zu wollen, wie präsent das Thema mentaler Gesundheit in den Medien ist. Aufklärung zu dem Thema ist wichtig und geschieht gerade durch Personen des öffentlichen Lebens, die offen über eigene Erkrankungen sprechen, immer mehr. KeKe selbst erzählt in einem Interview davon, wie berührt sie oft sei, wenn ihr junge Menschen auf Instagram von ihrer eigenen Erkrankung und Problemen erzählen und sich ein Gemeinschaftsgefühl einstelle.
Aufklärung ja, aber ein Trend- und Verkaufshema? KeKe rappt, dass Mentale Gesundheit als „Asset“, also eine Kapitalanlage gehandelt würde. Sich über ihre Erkrankung verkaufen – das wolle sie nicht.
Der lange Weg aus der Krankheit
Sorry Mama, manchmal dauern diese Phasen jahrelang / A-act out, lash out, doch innerlich müde / Ich spiel' Support auf Tour, doch brech' zusammen hinter der Bühne / Schlafe nur mit Kodein, todeslost und ohne Ziel
Zusammenbrüche hinter der Bühne und Drogenkonsum, um den schweren Gefühlen zu entkommen – in schnellem Raptempo scheint KeKe eine Beichte abzulegen und gleichzeitig anzuklagen. Den Druck der Öffentlichkeit und die Erwartungen, denen sie dadurch ausgesetzt ist.
Mit „diese Phase“, die lange anhält, meint KeKe den Kampf mit ihrer Angsterkrankung, wie sie es in “Paradox” nennt. Im Spektrum der Angststörungen gibt es allerdings viele unterschiedliche Erkrankungen mit sich unterscheidenden Symptomen.
Dazu gehören nach ICD-10:
- Die generalisierte Angststörung, bei der die Angst anhaltend ist und nicht in speziellen Ungebunden oder Situationen auftritt, sondern „frei fluktuierend“ auftritt.
- Phobien, bei denen die Angst durch eindeutig definierte und eigentlich ungefährliche Situationen ausgelöst wird. Zu besonderen Alltagseinschränkungen kommt es bei Phobien, bei denen die Angst durch soziale Kontakte oder der Angst vor Keimen ausgelöst wird.
- Die Panikstörung, bei der es zu wiederkehrenden Panikattacken kommt, die nicht durch spezifische Trigger ausgelöst werden.
KeKe rappt und erzählt sowohl von fluktuierender Angst als auch von Panikattacken. Oft vermischen sich die Symptome der einzelnen Diagnosen, zwischen denen die Grenzen fließend sind. Eine Therapie anzufangen habe ihr sehr geholfen, erzählt KeKe in einem Interview. Dort habe sie im Teenageralter ihre Diagnose bekommen und Worte für ihre Gefühle finden können.
Für Menschen mit Angsterkrankung sind besonders Ansätze aus der Verhaltenstherapie sehr effektiv. Dort lernen sie Übungen, wie etwa DBT-Skills, mit denen sie sich in Situationen, in denen die Angst aufkommt, selbst regulieren können (mehr zu DBT-Skills bei Luv oder in dem Beitrag über Pete Davidson). Therapie sei kein linearer Prozess und brauche Zeit und Geduld, sagt KeKe. Dies zeichnet sich auch in ihrer Musik ab, sie erzählt von Ups and Downs, von Phasen, in denen die Angst präsent ist und davon, dass sich der Umgang damit verändern kann.
Psychische Erkrankungen sind von außen nicht sichtbar. Das ist etwas, womit KeKe einerseits spielt und andererseits darunter leidet – und wovon sie immer wieder rappt. Mit selbstbewusster Haltung steht sie in ihren Musikvideos da, sie tanzt, sie rappt, sie ist gestylt. Sie zeigt nicht nur eine Seite von sich. Sie kann gleichzeitig die Girlboss-Rapperin sein – und die verletzliche Seite mit ihrer psychischen Erkrankung zeigen. „Aus Schweigen entstehen immer nur mehr Schmerz und neue Probleme.”, sagt sie dazu.
Mit ihrer Offenheit ihre Erkrankung betreffend zeigt sie, dass sich ihre scheinbar gegensätzlichen Seiten keineswegs ausschließen und sich im Gegenteil sogar gegenseitig bedienen können. Ein Teil ihrer „Rappersönlichkeit“ speise sich aus den Schwierigkeiten, die ihre psychische Erkrankung mit sich bringt. Sie kann beides sein – genau das habe sie stark gemacht, so Keke. Und vielleicht ist das gar nicht so paradox.
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