Ein Comedian mit Borderline
Googelt man Pete Davidson, sind die ersten Vorschläge, die Suche zu erweitern: 1) Kim Kardashian und 2) Ariana Grande. Der US-Amerikanischen Comedian Pete Davidson ist in Deutschland besonders durch seine zahlreichen (und meist kurzen) Beziehungen zu prominenten Frauen bekannt. Zuletzt macht Davidson durch den öffentlichen Streit mit Kim Kardashians Ex-Mann Kanye West Schlagzeilen. Pete Davidson thematisiert offen psychische Erkrankungen. In der US-Amerikanischen Comedyshow Saturday Night Live sagt er mit einem Lachen:
„No shame in the medicine game. I’m on them. It’s great. […] It’s nothing wrong with taking them.“
"Keine Scham vor Medikamenten. Die sind gut. Es ist nichts falsch daran, sie zu nehmen."
Was mit Humor verpackt ist, hat einen persönlichen Hintergrund. Davidson geht mit seinen Depression, Cannabis-Abhängigkeit und Borderline Persönlichkeitsstörung an die Öffentlichkeit. Davidson spricht sowohl als Comedian über seine eigene Erkrankung, richtet sich aber auch auf Instagram und in Interviews an Betroffene, oft auch mit großer Ernsthaftigkeit:
"I started having these mental breakdowns, where I would like freak out. Rage. And then not remember what happened after. … Later on I would remember it in pictures kind of, and like kind of remember it like in a fog. I wouldn’t know what happened until after I broke something or after I ‘came to.’“
"Ich fing an, diese mentalen Zusammenbrüche zu haben, bei denen ich regelrecht ausflippte. Wut. Und mich dann nicht mehr daran erinnern konnte, was danach passiert war. Später erinnerte ich mich dann in Bildern und irgendwie wie in einem Nebel daran. Ich wusste nicht, was passiert war, bis ich etwas kaputt gemacht hatte oder wieder zu mir kam.“
Die Diagnose Borderline
Davidsons Vater starb als Feuerwehrmann bei dem Anschlag auf das World Trade Center an 09/11. Seit seinem neunten Lebensjahr befindet er sich regelmäßig in Therapie. Im Alter von 23 Jahren wird eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Meist sind Traumata in der Kindheit der Auslöser für Borderline. Bei Saturday Night Live spricht Davidson über seinen Gefühlszustand vor der Diagnose:
„I was always just so confused all the time, and just thought something was wrong and didn't know how to deal with it“
"Ich war immer so verwirrt und dachte, dass etwas nicht stimmt, und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte."
Zu den häufigsten Symptome einer Borderlineerkrankung gehören:
- Schwierigkeiten, eigene Impulse zu kontrollieren
- Unvorhersehbare, launenhafte Stimmung
- Störung des Selbstbildes
- Chronisches Gefühl der Leere
- Selbstschädigende Handlungen
Die Autorin Janice Cauwels beschreibt diese wie folgt:
„Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung zu definieren ist etwa so, als starre man in eine Lavalampe. Was man sieht, verändert sich unaufhörlich.“
Janice Cauwels
In einer Lavalampe nimmt das geschmolzene Wachs ständig wechselnde Formen an. So in etwa ist es auch mit den Gefühlen eines Menschen mit Borderline. Das Krankheitsbild ist besonders durch Instabilität, starke Stimmungsschwankungen und impulsives Verhalten geprägt. Betroffene können aber nicht einfach den Stecker ziehen und warten, bis das Wachs wieder abkühlt und zu Boden sinkt. Das ständige Auf und Ab, Schwarz-weiß Denken, Aggressionen, Gefühlsausbrüche von purer Euphorie bis zu totaler Verzweiflung, wird von Betroffenen häufig als schwer ertragbar und sehr anstrengend beschrieben.
Eine Borderline-Störung erscheint häufig in Begleitung weiterer psychischer Erkrankungen, zum Beispiel Depressionen. Darüber spricht Pete Davidson in der Öffentlichkeit:
“I hit rock bottom all the time. My rock bottom is when people are scared for my life and I have to go away, and then I have to bring myself back up again.“
„Ich bin immer wieder am Tiefpunkt. Mein Tiefpunkt ist, wenn die Leute Angst um mein Leben haben und ich weggehen muss, um mich wieder aufzurappeln.“
Davidson betont wiederholt, dass sich Borderline Erkrankungen individuell ausprägen. Immer jedoch hat eine Borderline Persönlichkeitsstörung Auswirkungen auf Beziehungen.
Borderline in Beziehungen
Einige Symptome von Borderline zeigen sich erst in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Die häufigsten Phänomene in Beziehungen sind
- Streitsucht
- Angst vor Betrug
- Furcht davor, verlassen zu werden
- Aggressionen
- Manipulation
- Suiziddrohungen
Die Intensität, mit der Menschen mit Borderline Gefühle wahrnehmen, spielt auch in der Liebe eine Rolle. Selten schwärmen Betroffene bloß für eine Person, sondern verlieben sich häufig schon nach kurzer Zeit des Kennenlernens sehr stark.
Die „rosarote Brille“, die zu Beginn einer Beziehung völlig normal ist, ist bei Menschen mit Borderline häufig übergroß. Dies kann zur maßlosen Idealisierung des:der Partner:in führen: Sie:Er wird sprichwörtlich auf einen Thron gesetzt und als perfekte:r Seelenverwandte:r betrachtet. Die starke Zuneigung mag zunächst schmeichelhaft wirken. So denkt auch der:die Partner:in oft, in seinem:ihrem Gegenüber eine:n ideale:n Seelenverwandte:n gefunden zu haben.
Kippt die Idealisierung, dann kommt es schnell zu einer starken Entwertung des Gegenübers. Sie:Er „wird von ihrem:seinem Thron geworfen“. Die Intensität der Gefühle nimmt dabei nicht ab, jedoch verlagert sie sich von einem positiven zu einem negativen Gefühl. Das kann zunächst mit reiner Leidenschaft verwechselt werden, besonders wenn es mit einer Sexualisierung der Beziehung einher geht.
Sich in einer ausgewogenen Mitte einzupendeln, fällt Menschen mit Borderline sehr schwer. Dazu führen unter anderem Symptome wie paranoide Vorstellung, der:die Partner:in würde untreu sein und Verlustängste. Von dieser Angst gesteuert signalisieren Borderliner:innen ihren Partner:innen sie zu brauchen. Das steigert sich nicht selten bis zu existenziellen Drohungen. Nicht ohne den anderen Leben zu können, erscheint den Betroffenen real.
Davidson spricht darüber, wie stark er seit dem Tod seines Vaters unter Verlustängsten leidet:
„When people say they’re leaving and coming back, I get a really big fear, like that they’re not gonna come back.“
„Wenn Leute sagen, dass sie weggehen und zurückkommen, habe ich große Angst, dass sie nicht zurückkommen werden.“
Sind Menschen mit Borderline beziehungsunfähig? / Pete Davidsons häufige Trennungen
Menschen mit Borderline wird nachgesagt, nicht beziehungsfähig zu sein. Mit diesem Vorurteil sieht sich auch Pete Davidson öffentlich konfrontiert. 2018, kurz nach der Bekanntmachung seiner Beziehung zu der Sängerin Ariana Grande, wandte er sich via Instagram an seine Community:
„Just because someone has a mental illness does not mean they can’t be happy and in a relationship.“
„Nur weil jemand eine psychische Erkrankung hat, heißt das nicht, dass diese Personen nicht glücklich, oder in einer Beziehung sein können.“
Viele Angehörige schildern häufige Konflikte in einer Beziehung zu einem Menschen mit Borderline. Grund hierfür seien oft die Angst vor Betrug oder Verlassenwerden und daraus resultierende Vorwürfe, die die Beziehung belasten. Ratgeber und Fachliteratur wie „Schluss mit dem Eiertanz“ von Paul T. Mason und Randi Kreger oder „Ich hasse dich, verlass mich nicht“ von Jerald J. Kreisman und Hal Straus wenden sich gezielt an Angehörige von Menschen mit Borderline. Darin werden Verhaltensmuster und Symptome für Angehörige erklärt. Das soll es ihnen leichter machen, mit den starken Stimmungsschwankungen Betroffener umzugehen. Davidson erzählt von sich:
„It’s always like, whatever question I ask, I’m expecting the opposite answer. … That could be pretty fucking frustrating for the other person.“
„Es ist immer so, dass ich auf jede Frage, die ich stelle, die gegenteilige Antwort erwarte. ... Das kann für die andere Person verdammt frustrierend sein.“
Angehörige von Menschen mit Borderline berichten oft davon, Suizidgedanken geschildert bekommen zu haben. Sie lebten in Angst um ihre:n Partner:in, fühlten sich davon überfordert. Suizidgedanken sind ein häufiges Symptom von depressiven Stimmungen. Manchmal ist aber auch der Wunsch, den Partner an sich zu binden, der Grund für solche Äußerungen. Angehörige fühlen sich von diesem manipulativen Verhalten wie emotional erpresst. Dies belastet eine Beziehung und macht es schwer, neben den Bedürfnissen des:der Partner:in auf die eigenen Gedanken und Gefühle zu hören.
Therapie, um eigenes Verhalten einordnen und verändern zu lernen, ist für Menschen mit Borderline sehr wichtig. Pete Davidson schreibt dazu auf Instagram:
„Everybody is different and there are a lot of treatments for mental illness and I have done / I am doing all of them.“
„Jede:r ist anders und es gibt es Menge Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen und ich habe / mache alle davon."
Viele Psycholog:innen raten nicht nur Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zu einer Therapie, sondern auch deren Angehörigen.
Was macht Menschen mit Borderline anziehend? / Pete Davidsons Star-Beziehungen
Laut ICD-10 zeichnet sich eine Borderlineerkrankung unter anderem durch „intensive, aber unbeständige Beziehungen“ aus. Pete Davidsons Liebesleben kam nach der Trennung von Ariana Grande, mit der er 2018 fünf Monate zusammen und schließlich verlobt war, keineswegs zur Ruhe. Nach einigen kurzen Affären und Beziehungen macht er im Winter 2021 seine Beziehung zu Kim Kardashian öffentlich. Gibt es etwas, das speziell Menschen mit Borderline anziehend macht?
Einige der Symptome von Borderline können dazu führen, dass Betroffene als besonders attraktiv wahrgenommen werden. Durch die emotionale Instabilität schwanken die Gefühle eines Menschen mit Borderline schnell von heiß zu kalt. Aus dem Wechsel von Idealisierung und Entwertung entsteht ein Spannungsfeld. Die Bewunderung schmeichelt, gibt Kraft und stärkt den Selbstwert. Dann folgen Vorwürfe, Kritik und Schuldzuweisungen. Der:die Partner:in tut währenddessen alles dafür, die Anerkennung wiederzuerlangen.
„I would try to make someone feel a certain type of way. And then if they felt that way I would feel good, and then if they didn’t feel that way, I would think something’s wrong and that they’re mad at me. So with words, I would try to sway people into saying the exact thing I needed to hear.“
„Ich habe versucht, jemandem ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln, damit sie sich auf eine bestimmte Art und Weise fühlen. Wenn sie sich dann so fühlten, fühlte ich mich gut, und wenn sie sich nicht so fühlten, dachte ich, dass etwas nicht stimmt und dass sie sauer auf mich sind. Ich habe mit Worten versucht, die Leute dazu zu bringen, genau das zu sagen, was ich hören wollte.“
Befindet sich ein Paar in diesen Verhaltensmustern, spricht man von Co-Abhängigkeit. Beide Partner glauben nicht mehr ohne den anderen zu können. Gleichzeitig denken sie, vom anderen unbedingt gebraucht zu werden.
„I been hearing a lot of ‘people with bpd can’t be in relationships’ talk. I just wanna let you know that’s not true.“
„Ich höre oft, Menschen mit Borderline können nicht in einer Beziehung sein. Ich möchte euch wissen lassen, dass das nicht wahr ist.“
Dafür ist viel Kommunikation nötig. Eine Beziehung mit einem Menschen mit Borderline ist komplex. Beide Partner sollten nicht davor zurückschrecken, sich Hilfe zu suchen. Therapie kann dazu beitragen, besser mit Konflikten und Herausforderungen umgehen zu können.
„Mental illness is not a joke, it´s a real thing.“
„Psychische Krankheiten sind kein Witz, das ist eine reale Sache.“
In einem Podcast erzählt er 2017 davon, was ihm neben Therapie und medikamentöser Behandlung geholfen habe:
„It’s so hard and like, lame, but once you actually do it and go through the [DBT skills] book and you’re like, ‘I’m gonna use this skill’ or like hold ice or take a cold shower or listen to your favorite song really loud — it sounds fucking lame and annoying, but when you do it, it actually kind of works.“
„Es ist so schwer und irgendwie lahm, aber wenn man es tatsächlich tut und das Buch [DBT-Fähigkeiten] durchgeht und sich sagt: "Ich werde diese Skills anwenden" oder ein Eis halten oder kalt duschen oder seinen Lieblingssong wirklich laut hören - das klingt verdammt lahm und nervig, aber wenn man es tut, funktioniert es tatsächlich irgendwie.“
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