Kurt Krömer ist eine Kunstfigur, verkörpert von Alexander Bojan. Der Künstler leidet seit dreißig Jahren an Depression. Er lebt als alleinerziehender Vater von vier Kindern in Berlin.
Der Weg in die Öffentlichkeit
Vor ziemlich genau einem Jahr, im Frühling 2021, sprach Kurt Krömer zum ersten Mal öffentlich über seine Krankheit. Ungefähr ein Jahr später liegt Kurt Krömers Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression“ in großen Stapeln in deutschen Buchhandlungen aus. Auf dem Cover trägt Krömer keine Kleidung. Sinnbildlich ist es auch in seinem Buch so: Er macht sich nackt, wird intim, erzählt schonungslos von seinem Krankheitsverlauf.
In Krömers Satiresendung „Chez Krömer“ sitzt er Torsten Sträter gegenüber. Es ist auf einmal gar nicht mehr lustig, Krömer sichtlich nervös: „Wir haben beide etwas gemeinsam. Wir haben Depressionen.“ Die beiden Comedians sprechen mit ruhiger Stimme über ihre psychische Erkrankung. Bis dahin war es für Krömer ein langer Weg: von Zusammenbrüchen im Supermarkt, Streit mit den Kindern und Arztterminen ohne Erklärung. Den Weg bis zu der Diagnose Depression, den Umgang damit und den Schritt an die Öffentlichkeit beschreibt Krömer in seinem Buch.
Die Diagnose Depression
Der Anfang der Depression liegt weit vor dem Auftritt mit Sträter. Dreißig Jahre früher, so Krömer. Die ganze Zeit über sei er, mal stärker und mal schwächer, depressiv gewesen ohne es zu wissen. Von der Diagnose Depression sei zum ersten Mal im Juli 2020 die Rede gewesen, als ihn seine Familientherapeutin gefragt habe: „Sag mal, bist du depressiv?“. In der Therapie habe es eigentlich um die Kommunikation zwischen ihm und seinen vier Kindern gehen sollen. Krömer schreibt, eigentlich habe er immer über sich geredet: „Ich bin überfordert“, „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, „Ich habe schon alles versucht“. Zunächst habe er die Vermutung der Therapeutin nicht wahrhaben wollen und zweifelte sie an. Doch schlussendlich stand die Diagnose, viele der Symptome trafen auf ihn zu.
„Das war keine schöne Diagnose, aber irgendwie war ich auch ein bisschen erleichtert, weil das Kind nun endlich einen Namen hatte.“
Kurt Krömer
So schreibt es Krömer in seinem Buch. Nach jahrelangen Arztbesuchen und Unsicherheit habe er mit der Diagnose Depression endlich „etwas Handfestes“ gehabt, etwas, was behandelt werden kann.
Die Symptome der Depression
Krömer beschreibt in seinem Buch viele der unterschiedlichen Symptome von Depressionen. Nicht bei jedem Menschen mit Depressionen kommen die gleichen Symptome vor. Und sie sind nicht immer gleich stark ausgeprägt. Je nach Person und Situation kann es sein, dass einige Symptome gar nicht, andere sehr stark auftreten.
Die häufigsten Symptome der Depression sind:
- Niedergeschlagenheit und gedrückte Stimmung
- Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit
- Erschöpfung
- Verlust von Freude und Interesse an Dingen, die einmal Spaß gemacht haben
- Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Minderung bis hin zu Verlust des Selbstwertgefühls und -vertrauens
- Appetitverlust
- Suizidgedanken
Die Symptome einer Depression führen dazu, dass der:die Betroffene Veränderungen im Außen kaum noch wahrnimmt. Ob etwas Gutes oder Schlechtes geschieht, hat dann oft nur noch wenig Einfluss auf die Gefühle der betroffenen Person.
Ein Ratgeber zum Umgang mit Depression soll Krömers Buch aber nicht sein: „Ich habe kein therapeutisches Wissen […]. Das ist einfach nur meine Geschichte.“ Im besten Falle wolle er damit Menschen helfen, die sich in dem, was er schreibt, spiegeln können und sich Hilfe suchen. Die eigene Krankheit zu erkennen, ist oft mit großen Hürden verbunden. Obwohl Krömer, wie er in einem Interview mit der FAZ erzählt, seinem eigenen Vater dazu riet, wegen dessen Depression zur Therapie zu gehen, dauerte es Jahrzehnte, bis bei ihm selbst eine Depression diagnostiziert wurde.
Leben mit unerkannter Depression
Rund die Hälfte der an Depression erkrankten Menschen nehmen nie Kontakt zu Ärzt:innen und Psycholog:innen auf, so das International Journal of Methods in Psychiatric Research. Häufig bleiben depressive Erkrankungen unerkannt. Viele der Symptome von Depressionen beziehen sich auf Gedankenmuster, die von außen nicht sichtbar sind.
„Die schwarze, schwere Hexe, die nach Kacke stinkt, setzte sich auf einmal wieder auf meinen Bauch und machte mich bewegungsunfähig.“
Kurt Krömer
Das schreibt Krömer über die Zeit nach Fernsehdrehs, wenn das Adrenalin wieder abfällt. Als Comedian auf der Bühne lustig sein, entertainen, das sei noch gegangen: „Das war meine Tanzfläche. Ich hatte perfekte Tanzschuhe an, für den perfekten Tanz, den ich da hingelegt habe. […] Die Zeit davor war immer scheiße und die Zeit danach war auch richtig beschissen […] Wenn ich nach Hause kam, bin ich regelmäßig zusammengefallen.”
Vor der Diagnose habe Krömer seine Symptomatik auf einer Romreise mit Undankbarkeit verwechselt, dachte jahrelang „ein sehr sehr böser Mensch“ zu sein und verstand nicht, was bei seiner ersten Panikattacke eigentlich mit ihm los war. In dem Kapitel „Der Zusammenbruch“ ganz zu Beginn des Buchs, erzählt er, wie er versucht habe, die Depression in Alkohol zu ertränken und wie diese „Kombination 2009 erstmals zum kompletten Zusammenbruch“ geführt habe. Er sei in München gewesen, gerade auf dem Weg zur ARD-Weihnachtsfeier durch die volle Münchner Innenstadt. „Ich bekam nicht mehr richtig Luft und hatte das Gefühl, ich würde jeden Moment umkippen.“ Einen Grund dafür habe er nicht erkannt.
„Eine diffuse Angst war das, die mir wirklich körperliche Schmerzen bereitet hat. Tage später ging ich deswegen zum Arzt und musste erfahren: Das war die erste Panikattacke meines Lebens.“
Kurt Krömer
Krömer erzählt von vielen Jahren mit Burn-out, familiären Konflikten und Herausforderungen des Alltags, die ihm kaum noch meisterbar erschienen. Zu dem Geburtstag eines seiner Kinder habe er drei Tage lang an einem Kuchen gebacken und dabei immer wieder in seinem Schlafzimmer geweint. Das ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie schwer die scheinbar leichten Dinge des Lebens für Menschen mit Depression werden. „Jede zusätzliche Arbeit, jedes Glas, das aus Versehen umkippt, wird eine Vollkatastrophe. Alles, was vom Plan abweicht, ist eine Vollkatastrophe.“
Das von Krömer beschriebene „Katastrophisieren“ ist ein häufiges Gedankenmuster von Menschen mit Depressionen: „Dazu diese Gedankenschrauben […], die man dreht. Fünfzehn Stunden am Tag denkt man auf irgendwelchen Problemen rum, kommt aber zu keiner Lösung. Und am nächsten Tag wacht man auf und die ganze Scheiße geht wieder von vorne los.“
Therapie und Klinik
Nach der Diagnose Depression, die Krömer als „ersten wichtigen Schritt“ ansieht, sich Hilfe zu holen, musste etwas geschehen. Einmal in der Woche Therapie habe nicht mehr gereicht, so Krömer. Acht Wochen Tagesklinik im Herbst 2020 folgten. „Ich wollte aus diesem Leben, das ich gelebt habe, einfach nur raus. Ich wollte nicht sterben, das nie. Aber ich wollte aus der Situation, in der ich war, unbedingt raus.“
Krömer berichtet von den Anfangsschwierigkeiten, sich auf die Therapie einzulassen und der Angst davor, in die eigene Vergangenheit zu blicken, besonders nach den vielen Jahren, in denen er unwissentlich mit der Krankheit gelebt habe. Einen besonderen Fokus legt Krömer auf die Dinge, die er in der Therapie gelernt hat: „Achtsam gegenüber sich selbst sein.“, ist eins davon. Liest man das Buch, spürt man wie stolz Krömer über all das ist, was er zum ersten Mal seit Langem wieder gemacht hat. Ehrlich lachen, zum Beispiel. Oder in den Urlaub fahren, nach dem Klinikaufenthalt. Er erzählt von dem Erfolg, spazieren zu gehen, sich Mittagessen zu kaufen und an Meditationen teilzunehmen. Wieder sind es die vermeintlich kleinen Dinge des Alltags, die den Unterschied machen
„Ich befinde mich im Übergang. […] Es fühlt sich so an, als hätte ich sehr lange im Koma gelegen, wäre kürzlich wieder aufgewacht und ganz viele Leute stünden um mich herum, die sagen: ‚Super, du bist wieder wach. Du warst acht Jahre lang nicht ansprechbar. ’“
Kurt Krömer
Eine Zeit mit mehr Klarheit, nach der Klinik und mit den passenden Antidepressiva. „Denn die Depression, so blöd es sich anhört, hat etwas aus mir gemacht. Das hat mich charaktertechnisch, das hat mich seelisch verändert.“ Auch in der Kunst mit der Depression umzugehen, mit diesem Thema sein Publikum humorvoll zu erreichen, habe er erst lernen müssen.
Über den neu gewonnenen Kontakt zu anderen Betroffenen, schreibt Krömer: „Die Schwere ist unterschiedlich. Die Therapie ist unterschiedlich. Aber die Basis vereint erst mal.“ Diese Basis zeigt sich, als er sich ein halbes Jahr später mit Thorsten Sträter unterhält. Was im Fernsehstudio beginnt, geht mit dem Buch weiter, mit Interviews und Zeitungsartikeln. Begleitet von Fotos des Komikers am Pool, mit bunten Fingernägeln und der Entscheidung, die Gartenarbeit einfach sein zu lassen.
Das stresse ihn nur.