Mit Anfang zwanzig ist Mara Wolf Schulabbrecherin, Arbeitslos, depressiv. Mit dem posten ihrer Instagram-Fotos träumt sie sich hin zu einem erfolgreicheren, durch Filter pickelfreierem und überhaupt besseren Ich. Alle paar Wochen muss sie zum Arbeitsamt fahren und dort erklären, dass sie durch ihre psychische Erkrankung weiterhin arbeitsunfähig ist. So, grau und abwechslungslos, vergehen Maras Tage. Bis sie in einer Bar auf einen Mann trifft, der sie zum Literaturstar machen möchte. Sie soll das Manuskript eines älteren Autoren für ihres ausgeben, als Newcommerin von unten würde sie damit mehr Erfolge haben als der eigentliche Autor. Mara nimmt das Angebot aufgrund der guten Bezahlung an, auch wenn sie sich weder für den Text, noch Literatur an sich wirklich interessiert.
Marlen Hobrack webt das Ringen um Authentizität als immerwährenden Unterton durch den Roman. All das treibt die Autorin sogar so weit, dass die Namensähnlichkeit ihrer Protagonistin Mara Wolf und der BookTok-Autorin Marah Woolf wohl kaum ein Zufall sein mag. Ihre Figuren kämpfen damit, was Authentitzität bedeutet, wie sie am besten gespielt wird und wann sie doch in ihrer Ehrlichkeit gebraucht wird. An diesem Thema entlang breitet Hobrack nach Fiktion und Realität, Mensch und Autor aus und wirft damit einen scharfen Blick auf die Literatur-Branche, in die sie ihre Hauptfigur vielmehr als Schauspielerin, denn als wirkliche Hochstaplerin hineinwirft. Die Frage nach Autorenschaft und danach, wer welche Geschichten erzählen kann, wird in dem Roman immer wieder durch wechselnde Erzählperspektiven markiert.
Dass der Buchmarkt selbst als Thema in Literatur beliebt ist, zeigte sich zuletzt mindestens durch den Erfolg des Romans “Yellowface”, in von Rebecca F. Kuang, in dem es ebenfalls um Betrug, Aneignung von Text und die Frage nach Schein und Sein geht. Der bedeutende Unterschied der Protagonistinnen ist allerdings, dass Mara aus Schrödingers Grrrl kaum etwas darauf gibt, ob ihr Name in Feuilletons auftaucht, die Branche ist nicht ihre, nur eine Chance, Geld zu verdienen. Wichtiger als Kritiker ist ihr ihr Instagram-Kanal, der junge Mann, in den sie sich verliebt und dass sie endlich die Rechnungen ihrer bestellten Klamotten bezahlen kann. Wo die Protagonistin an vielen Stellen fast unerträglich uneinsichtig und naiv daherkommt, so gelingend ist die ungeschönte Darstellung ihrer Depression, ihr Selbst-belügendes Verhalten und ihr Versuch, sich durch Konsum zu betäuben.
Schrödingers Grrrl spielt, so wie Gedankenexperiment “Schrödingers Katze”, an das der Titel angelehnt ist, stets mit der Parallelität von Schein und Sein, Authentizität und Lüge.
Lio dated nicht, bis ihre beste Freundin Mariam entscheidet, dass sich daran etwas ändern solle und sie auf Tinder anmeldet. Dort lernt Lio Max kennen, schon bald lassen sich die beiden aufeinander ein. So sehr die Geschichte lange wie eine klassische Lovestory, bzw. Kennenlern-Geschichte von Endzwanzigern daherkommt, so rückt doch bald Lios Vergangenheit in den Vordergrund. Mit Max hat sie ihr erstes Mal, im Laufe der Beziehung, die über mehrere Jahre geschildert wird, treten ihre Erinnerungen an das Aufwachsen mit ihrer gefühlskalten und gewaltsamen Mutter in den Vordergrund.
Schmitt erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die Traumata mit sich herumträgt und nicht weiß, wohin damit und mit sich. Die Zuflucht, die sie in der Beziehung sucht, beginnt spätestens dann zu bröckeln, als die Protagonistin schwanger wird. Max, Part zwei der Beziehung wiederum zweifelt ebenfalls oft an der Art und Weise, wie er sein Leben gestaltet, erlebt depressive Phasen und trinkt zu viel Alkohol. Auch das ist für Lio nicht leicht. Hier gelingt es der Autorin, die Erschöpfung der Protagonistin nahbar darzustellen und ihr Genervtheit und Überforderung zuzugestehen.
Der Mikrokosmos der Beziehung zwischen Lio und Max wird von Schmitt eindringlich und zunehmend bedrückend geschildert. Zugleich wirkt die Geschichte um Lios Vergangenheit zunehmend schablonenhaft, verschiedene Formen der emotionalen und psychischen Gewalt folgen aufeinander, die jeweils für ein Trauma reichen. Je mehr ihrer Erlebnisse geschildert werden, desto mehr entsteht der Eindruck, dass diese die technische Funktion erfüllen, Lio ein komplexes Innenleben zu geben und ihr Verhalten zu erklären. Kitschig wird der Roman aber nie – weder wird geheilt, noch gerettet. Darin liegt eine Stärke der Geschichte.
Eindrücklicher als die Auswirkungen der unglücklichen Kindheit und der Vernachlässigung, der die Protagonistin ausgesetzt war, ist wie die Autorin das erst entstehende und dann wackelnde Beziehungskonstrukt der beiden Hauptfiguren nachzeichnet und sich in dieser Erzählung Zeit lässt. Auch wie die Hauptfigur nach ihren Erfahrungen aber mit ihrer Sexualität umgeht, ist ein interessanter Part der Geschichte. Schlussendlich liegt die Stärke des Buchs doch viel eher in der Beziehungs-Beobachtung als in der Betrachtung und Beschreibung psychischer Erkrankungen.
Dieses Buch sticht aus unserer Rezensions-Reihe hinaus, handelt es sich bei diesem Band um einen Lang-Essay über Luxus und dessen politische Bedeutung. Die Filmemacherin, Kolumnistin und Autorin Jovana Reisinger widmet sich in ihrem neuen Buch dem Glamour und Genuss. Ihre Beobachtungen und Analysen teilt sie in die Bereiche Mode, Essen und Schlaf. Es beginnt mit dem Bericht davon, wie sie im pinken Mini-Kleid auf einem dem roten Teppich als Prostituierte bezeichnet wurde – anhand dieser Begebenheit entfaltet Reisinger ihren eigenen Klassenaufstieg, aus dem elterlichen Gasthaus und der Sozialhilfe hoch in die Kultur-Branche. Sie reflektiert über das Spiel mit dem Schein, mit Strass, gefälschten Designer-Handtaschen und echter Vintage-Designerkleidung. Ihre Beobachtungen und die Reflexion über ihren eigenen Werdegang verbindet sie dabei mit sozialen Fragen nach Klasse, Performance und ihrem Auftreten als selbsternannte Tussi. Sie erzählt von ihrem Aufwachsen in einem Gasthaus und dem Essen von Austern, den Nachmittagen in Luxuskaufhäusern und von dem Kauf eines neuen Bettes nach ihrer Scheidung. Das Lesen ist verbunden mit der Lust am Konsum-Voyeurismus und eben der Lust der Autorin selbst, zur oberen Schicht zu gehören, Muscheln zu bestellen und Schampus, die Zugehörigkeit selbst manchmal auch nur zu spielen. In ihren Beobachtungen lässt Reisinger die Leserinnen, wie es aus ihrer Single-Kolumne für das Magazin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gewohnt ist, nah an sich, ihr Dating-Leben, ihre Bedürfnisse und ihr Begehren heran. So hat der Essay immer wieder romanartige Momente, die seine Sprache so besonders und bestechend machen. Reisinger zieht in einen Sog, nach dem man sowohl über den Luxus, in der gegen herumzuliegen, wie sie es ausdrückt, nachdenkt, als auch am liebsten selbst einige Designer-Stücke shoppen würde, so präsent ist das Spiel der Selbstinszenierung in dem Text – und auch hier geht es letzten Endes wieder um die Frage von Zugehörigkeit, Selbstdarstellung und darunter liegenden, nicht abzuschüttelnden Prägungen, nach Bourdieu um soziales und kulturelles Kapital. Reisinger reflektiert und beschreibt dies persönlich, ihr Ton passt zum Thema, immer ein wenig funkelnd – und darin schillernd.