Nichts in den Pflanzen von Nora Haddada
Leila bewegt sich zwischen Bars und Altbauwohnungen, Katerstimmung und Hochgefühl, Erfolg und Niederlagen. Mit Beginn des nicht chronologisch erzählten Romans unterschreibt die Protagonistin ihren ersten Drehbuch-Vertrag. Aber statt die erwarteten Änderungen einzubauen, haut sie ihren Vorschuss für teures Essen und viele Espresso Martini auf den Kopf. Jedes Mal, wenn sie versucht zu arbeiten, ist ihr, als krabbelten aus ihrem Laptop Käfer. In der Schreibblockade gelähmt stürzt sich Leila in eine Affäre. Gegen ihre Selbstzweifel hilft das nicht.
In einem kurzen, fast satirischen Intermezzo versucht Leila mit einer Therapeutin zu ergründen, in welchen Leon (der Leon, der ihr Freund ist, oder der Leon, mit dem sie eine Affäre angefangen hat) sie denn nun verliebt sei. Als Leser:in fühlt es sich an, als folge man Leila auf Schritt und tritt, mehr als dass es gelingt, wirklich in ihre Perspektive einzutauchen.
Bis zum bitteren Ende exerziert Nora Haddada die scheinbar „falschen“ Entscheidungen, die Qual der Selbstzweifel und die Kapitulation der Hauptfigur vor sich selbst durch. Mit Faszination und dem “Oh Honey!”-Blick folgt man der Protagonistin bei ihrem Fall, ohne wirklich mitzuleiden.
22 Bahnen von Caroline Wahl
Tilda ist Mitte zwanzig, jobbt in einem Supermarkt und studiert Mathematik. Sie ist in der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist, wohnen geblieben, weil sie sich um ihre zehnjährige Schwester Ida kümmern muss. Die Mutter der beiden ist alkoholabhängig und schwankt zwischen Tiefschlägen, Gewalt gegen ihre jüngste Tochter und Reue, die sie darin zeigt, nach einem Ausbruch Spiegeleier zu braten. Während Tilda ihre Masterarbeit vorbereitet, ruft ihr Professor sie zu sich. Tilda erwartet eine Anfuhr, womöglich hat sie zu viele Stunden verpasst. Stattdessen rät ihr Professor dazu, sich auf eine Promotionsstelle in Berlin zu bewerben. Sie zweifelt: Kann sie ihre kleine Schwester alleine lassen, damit sie ihren eigenen Wunsch erfüllen kann?
In “22 Bahnen” begleiten die Leser:innen Tilda einen Sommer lang. Sie bereitet ein Ferienprogramm für ihre Schwester vor, geht jeden Abend Schwimmen, um den Kopf frei zu kriegen und trifft schließlich Viktor wieder, mit dessen Bruder sie befreundet war, bis dieser bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.
So hart viele der Themen sind, die Caroline Wahl in ihrem Roman verhandelt, so hat die Geschichte mit ihrer leichten und alltagsnahen Sprache doch Anklänge einer Coming-of-Age Geschichte, die berührt. Wahl gelingt es auf knapp zweihundert Seiten ihre Figuren vielschichtig darzustellen, sodass die Leser:innen mit den Protagonist:innen mitzweifeln, statt selbst ein hartes Urteil zu fällen.
Wie beim Bahnen-Ziehen im Schwimmbad kann man in den Debütroman von Caroline Wahl versinken, ohne von den tieftraurigen Themen, die sie darin verhandelt, herabgezogen zu werden.
Schlafen von Theresia Enzensberger
In dem knapp hundert-seitigen Essay von Theresia Enzensberger geht es mit Schlaf um ein Thema, dem sich wirklich niemand entziehen kann. Es ist Teil des ersten Schwungs der neuen Reihe “Leben” aus dem Verlagshaus Hanser Berlin, für die insgesamt zehn Bände angekündigt worden sind.
Ausgehend von ihrer eigenen Schlafbiografie, nähert sich die Autorin dem Thema Schlaf vorwiegend aus einer kulturwissenschaftlichen bis soziologischen Perspektive. So geht es zu Beginn des schmalen Bandes etwa darum, wie der Kapitalismus und Schlaf zusammengehören – oder sich eben gegenseitig blockieren. Einerseits gibt es unzählige Produkte, die einen besseren Schlaf versprechen, andererseits ist der Schlaf eben genau die Zeit, in der wir weder arbeiten noch konsumieren können. Diese, auch feministisch geprägte Sicht auf Schlaf wurde bereits von Svenja Gräfen in “Radikale Selbstfürsorge” ausführlich besprochen.
Die Kapitel von “Schlafen” folgen unterschiedlichen Schlafphasen, vom leichten und tiefen Schlaf bis zum Traumschlaf. Enzensberger untersucht darin aber nicht nur den Schlaf an sich, sondern das leidvolle Gegenteil, die Schlaflosigkeit, die oft Symptom psychischer Erkrankungen ist.
Die tief recherchierten (auf knapp einhundert Seiten schafft es Enzensberger auf über 90 Fußnoten), aber dennoch kurzweiligen Informationen bieten einen gesellschaftspolitischen Überblick. Auch wenn Enzensberger das Thema Träume bewusst auslässt, überrascht doch das alptraumhafte Ende des Bandes.
Hinweis: Die Bücher wurden dem Semikolon Blog von den jeweiligen Verlagen zur Verfügung gestellt.