Paul Fontheim ist 21, rappt unter dem Namen Fontal 999 und lebt in Mainz. Texte schreibt er seitdem er 12 ist, seine Musik produziert er seit drei Jahren. Neben den Themen Geld, Jugend und erwachsen werden scheinen immer wieder intime Themen durch seine Musik.
Musik zur Gefühlsverarbeitung
Semikolon: Du rappst und veröffentlichst deine Songs auf Spotify. Wie bist du zur Musik gekommen?
Fontal: Vor allem, weil ich selbst die Musik machen wollte, die ich gerne höre. Ich habe generell diesen Drang in mir, kreativ zu sein und etwas zu schaffen. Meine Idole haben mich dazu inspiriert, das musikalisch zu tun. Die Nummer eins sind dabei Kendrick Lamar, Travis Scott und Stevie Wonder.
Semikolon: Welchen Stellenwert hat die Musik für dich?
Fontal: Musik steht über allem. Es gibt nichts, was mir gerade mehr am Herzen liegt, und nichts, was ich mehr tun möchte als Musik. Sie ist für mich die einzige Sache, die mir einen konkreten Sinn gibt, bei der ich spüre, dass sie einfach aus mir herauskommt.
Semikolon: Deine Texte klingen immer wieder sehr persönlich. Wie viel davon ist künstlerischer Freiraum und wie viel kommt von dir als Person?
Fontal: Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder. Meine Texte sind eigentlich immer persönliche Erlebnisse, die ich aufschreibe und durch meine Musik kreativ umsetze, egal ob das ein fröhlicher Song ist, irgendwie deep oder wütend. Das sind die Gefühle, die von Erlebnissen, die in meinem Leben stattgefunden haben, kommen. Es ist schon ein großer Teil meiner Musik, der persönlich ist.
Zu wenig Ups
Und zu viele Low
Alles nur in meinem Brain
Fontal, Brain
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Semikolon: Besonders in deinem Song “Brain” geht es immer wieder um psychische Belastung. Wie ist das Lied entstanden?
Ja mein Brain nur ein Waldlabyrinth
Notausgang Wein oder Gin
Wieder mal enttäuscht wieder mal betäubt
Dreh mich im Kreis ohne Sinn
Fontal, Brain
Semikolon: Hilft es dir, diese Gefühle in deiner Musik zu verarbeiten?
Fontal: Auf jeden Fall. Das ist der einzige Ausweg. Auch wenn ich über die Musik von meinen Helden nachdenke – die haben mein Leben gerettet. Wenn ich keine Musik mehr hören oder machen könnte, wäre ich verloren. Für mich ist Musik mit Abstand der beste Weg, um Dinge zu verarbeiten. Natürlich verschwinden meine Probleme dadurch nicht. Aber sie verwandeln sich in etwas Positives, etwas Kreatives. Ich kann damit aus dem Bösen etwas Gutes machen.
Sag wo ist mein Leben Lieber Gott
In ner andern Dimension
Fontal, Brain
Semikolon: In “Brain” rappst du von “suicidal thoughts”. Gesellschaftlich ist Suizid noch immer ein Tabu-Thema. Wie ging es dir damit, diese Zeilen zu schreiben und zu rappen?
Fontal: Für mich ist es wichtig, genau diese Zeilen zu schreiben, die vermeintliche Tabus sind. Die Dinge trotzdem zu sagen. Das ist doch gerade, worum es geht. Ich kann so etwas Persönliches aufschreiben und gleichzeitig sagen, dass ich es nicht machen würde. Natürlich ist das extrem, aber wofür soll ich sonst Musik machen?
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Sich verstanden fühlen
Semikolon: Du hast neben der Musik, die du als Therapie bezeichnest auch eine Gesprächstherapie gemacht. Wie hast du das erlebt?
Fontal: Ich habe eine klassische Verhaltenstherapie gemacht. Davor war ich ziemlich skeptisch, ich war da gerade 16. Ich dachte: Wie will mir der Therapeut denn helfen? Aber es hat dann doch gut funktioniert, ich war ungefähr zwei Jahre dort. Danach war ich noch mal bei einem anderen Therapeuten. Der hat meine Probleme wirklich absolut verstanden und konnte gut auf mich eingehen. Es tut gut, diese externe Person zu haben, mit der man reden kann und die abseits vom eigenen Leben steht. Nicht nur Freunde und Familie zu haben, sondern jemanden, der alles von außen betrachten kann. Ich glaube, die Connection zwischen Patient und Therapeut ist total wichtig, damit eine Therapie funktioniert. Wenn man sich nicht verstanden fühlt, hat es auch keinen Sinn, glaube ich.
Semikolon: Wie ist es für dich, öffentlich über dieses Thema zu sprechen?
Fontal: Ich finde es gut, dass das alles so draußen ist. Ich glaube, das hat man auch vorher schon gemerkt, vor allem bei den persönlichen Dingen. Das habe ich zwar vielleicht vorher alleine aufgeschrieben und jetzt existiert es als Song. Vorher habe gedacht, ich bin allein mit dem Problem oder der Sorge, aber dann kommen Leute auf mich zu und sagen, es geht ihnen ähnlich oder sie fühlen den Song einfach. Und das auch an Stellen, bei denen ich denke: als ob du das jetzt fühlst. Aber dann zu spüren, dass ich mit meiner Musik Menschen erreichen kann, die sich damit identifizieren und vielleicht sogar einen Mehrwert daraus ziehen können, weil sie sich nicht mehr allein fühlen, das ist das schönste Gefühl überhaupt.
Semikolon: Was ist das Ziel, dass du mit deiner Musik verfolgst?
Fontal: Ich weiß, wie es sich anfühlt, mit seinen mentalen Problemen und Sorgen allein zu sein. Genau deswegen schreibe ich meine persönlichsten Sorgen auf, damit ich sagen kann: Okay, das hier sind meine Sorgen. Ich erzähle sie der Welt und damit kann dann jeder anfangen, was er möchte. Vielleicht sind ja Leute dabei, die sich damit identifizieren können. Ich möchte meine Musik gerade für die Leute machen, die sich einsam fühlen und mentale Probleme haben. Ich möchte ein Ort schaffen, an dem sie sich aufgehoben fühlen, weil ich selber weiß, wie schlimm es ist, wenn man diesen Ort nicht hat. Ich habe diesen Ort durch die Musik gefunden und möchte ihn auch anderen geben, damit sie sich vielleicht trauen, anders mit ihren Sorgen umzugehen.
Semikolon - Nachgefragt
Semikolon: Denkst du, wir sollten gesellschaftlich mehr über psychische Erkrankungen sprechen? Wenn ja, warum?
Fontal: Ja, ich finde gerade bei Jungen und Männern. Ich finde mich da auch selbst wieder, dass ich manchmal denke, über solche Sachen redet man nicht. Auf Depression und psychischen Problemen lastet dieses Stigma. Wenn man die richtigen Leute hat, mit denen man reden kann, dann ist das darüber zu reden das beste, was es gibt. Ich finde es schade, dass daraus so ein Tabuthema gemacht wird, denn es ist etwas, was jedem passieren kann, finde ich. Das Thema zu enttabuisieren ist für alle, aber gerade für Betroffene wichtig, damit sich nicht mehr so fremd und falsch fühlen. Zumindest geht es mir so. Wenn ich Phasen hatte, in denen es mir sehr schlecht ging, dann habe ich oft gedacht, dass man das eigentlich nicht haben sollte sondern gerade Spaß am Leben haben. Gerade wegen diesen Ängsten sollte man mehr über das Thema sprechen.
Semikolon: Was kann jede:r Einzelne tun, um einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen zu leisten?
Fontal: Es geht vor allem um Akzeptanz dafür, dass so etwas eben existiert. Wenn jemand eine körperliche Verletzung hat und im Krankenhaus liegt, wird das akzeptiert. Wenn jemand eine psychische Erkrankung hat und dann zum Beispiel in einer psychosomatischen Klinik ist, gibt es schnell das Vorurteil “der ist jetzt in der Klapse”. Das finde ich falsch. Wenn man über psychische Erkrankungen genauso wie über körperliche Erkrankungen sprechen könnte, wäre das schon ein großer Schritt.