Auf diesen Prinzipien beruht kognitive Verhaltenstherapie
Semikolon: Was ist kognitive Verhaltenstherapie?
Valeska Pape: Verhaltenstherapie ist eines von drei Richtlinienverfahren für psychologische Psychotherapie in Deutschland. Das sind die Verfahren, deren Wirksamkeit so wissenschaftlich belegt ist, dass sie von den Krankenkassen übernommen werden. Neben der Verhaltenstherapie gibt es die psychoanalytische und die tiefenpsychologische Psychotherapie. Für bestimmte Störungsbilder sind noch weitere anerkannt. Wie der Name schon sagt, liegt der Fokus bei der Verhaltenstherapie stark auf dem Verhalten – sowohl dem „ungesunden“ Verhalten, dass man sich aus verschiedenen Gründen angewöhnt hat, als auch auf dem „gesunden“, welches es in der Therapie zu erlernen gilt. Das bedeutet, erst mal gemeinsam zu schauen, welche Symptome den:die Patient:in im Alltag beeinträchtigen. Das können z.B. Schlafstörungen, Ängste oder Panikattacken sein. Ein:e Verhaltenstherapeut:in versucht, relativ direkt mit den Patienten Strategien zu entwickeln, die am Umgang mit den vorliegenden Symptomen ansetzen. Im Therapieverlauf schaut man dann natürlich auch, wo die Symptome herkommen, welche Muster und Gedanken ihnen zugrunde liegen und welche Erfahrungen vielleicht schon in Kindheit und Jugend einen Nährboden für ihre Ausbildung dargestellt haben.
Semikolon: Und was ist mit dem „kognitiv“ gemeint?
Valeska Pape: Das „kognitiv“ in „kognitiver Verhaltenstherapie“ betont den gedanklichen Teil unserer Psyche und setzt am Verstehen an. Man versucht in der Therapie relativ früh, diese Ebene mit einzubeziehen und zu vermitteln: Sowohl was ich tue, als auch was ich denke, beeinflusst, wie es mir geht. Auf der Verhaltensebene kann es wichtig sein, Gewohnheiten zu ändern, z.B. eine Tagesstruktur zu etablieren, sich mehr zu bewegen oder zu lernen, sich abzugrenzen. Auf kognitiver Ebene geht es darum, dysfunktionale Einstellungen und Grundannahmen zu bearbeiten und das Denken zu flexibilisieren.
Semikolon: Mit welchem Modellen wird gearbeitet?
Valeska Pape: Das grundlegende Modell der Verhaltenstherapie ist eigentlich ganz simpel, es geht darum, dass Gefühle, Gedanken und Verhalten in der menschlichen Psyche nicht voneinander zu trennen sind. Wie ich mich verhalte, bedingt meine Gefühle und meine Gedanken und umgekehrt. Direkt am Gefühl anzusetzen, ist quasi das Schwierigste, man kann da ja nicht einfach auf einen Knopf drücken, um sich anders zu fühlen. Auch Gedanken zu verändern, ist ein längerer Prozess. Setzt man am Verhalten an, kann man aber relativ schnell Einfluss auf Gefühle und Gedanken nehmen. Wenn man zum Beispiel soziale Ängste hat, sich dann aber doch traut, unter Menschen zu gehen und dabei eine schöne Erfahrung macht, dann ist das Gefühl hinterher besser. Und vielleicht kann man denken: Cool, dass ich das geschafft habe. Diese Verknüpfung versucht man möglichst früh zu vermitteln, um zu motivieren, auf der Verhaltensebene etwas zu verändern, auch wenn das auch erst mal schwerfällt.
Valeska Pape: Darüber hinaus gibt es unterschiedliche weitere Modelle, die in der Verhaltenstherapie genutzt werden. Zum Beispiel das Entstehungsmodell, mit dem man gemeinsam erarbeitet, wie sich die aktuelle Symptomatik entwickelt hat. Dabei betrachtet man Faktoren, die aus der Kindheit mitgebracht wurden, im Laufe des Lebens entwickelte Denk- und Verhaltensmuster und aktuelle Auslöser im Sinne von Belastungsfaktoren, die zur Krise geführt haben. In der Verhaltenstherapie wird häufig damit gearbeitet, Erkenntnisse und Zusammenhänge zu verschriftlichen, manchmal bekommen PatientInnen Arbeitsblätter oder „Hausaufgaben“ im Sinne von Beobachtungsaufgaben oder kleinen Übungen.
Semikolon: Und wie macht man das?
Valeska Pape: Erst mal geht es um ein Verständnis für die eigenen emotionalen Prozesse, dabei helfen zum Beispiel Stimmungsprotokolle. Damit kann man etwa erkennen, welche Situationen jemandem Angst machen, welche Faktoren Traurigkeit auslösen oder wie sich Anspannung über den Tag verteilt. Vielleicht gibt es eine bestimmte Tageszeit, in der diese besonders stark ist; vielleicht stellt man gemeinsam fest, dass sie nachlässt, sobald man Zeit mit einer lieben Freundin verbringt. Wenn man herausfindet, welche Situationen am herausforderndsten sind und welche dagegen einen positiven Einfluss auf die Stimmung haben, kann man im nächsten Schritt schauen, wie man besser mit den schwierigen umgehen und die Häufigkeit guter Einflüsse erhöhen kann. Hierzu kann z.B. auch das Erlernen von Achtsamkeitsübungen oder Entspannungstechniken hilfreich sein. Ein großer Teil der Therapie ist aber auch die Arbeit an der Akzeptanz für das, was ist und sich vielleicht nicht so einfach ändern lässt. Der:die Patient:in soll lernen, nicht für die eigenen Bedürfnisse oder Verhaltensweisen abzuwerten, sondern herausfinden, was sie/er ganz individuell an „emotionaler Versorgung“ braucht, um im Gleichgewicht zu sein. Das kann eine ausgewogene Tagesstruktur sein, Menschen, mit denen man reden kann, ein sportliches Hobby oder Tagebuch schreiben. Manchmal ist auch eine größere Lebensveränderung nötig, um sich wieder wohler zu fühlen, etwa das Beenden einer schwierigen Beziehung oder ein Jobwechsel. Es geht immer darum, das Hier und Jetzt den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten und zu lernen, gut für sich zu sorgen. Natürlich kann dazu auch gehören, sich ergänzend eine Medikation verschreiben zu lassen, um akute Symptome zu lindern.
Semikolon: Was macht Verhaltenstherapie so wirksam?
Valeska Pape: Ein großer Vorteil ist, dass man dadurch relativ schnell etwas verändern kann und der Behandlungsansatz für verschiedene Bildungs- und Reflektionsebenen zugänglich ist. Auch mit kognitiv eingeschränkten Menschen oder Kindern und Jugendlichen kann man damit toll verhaltenstherapeutisch arbeiten. Da geht es dann vielleicht weniger um das kognitive Verstehen und mehr um ein intuitives Vorgehen, z.B. indem man Fragen stellt wie: Was tut dir gut? Was macht dir Spaß? Dann mach mehr davon! Für eine tiefenpsychologische Therapie oder eine Psychoanalyse wird sehr viel mehr Reflexionsfähigkeit der Patienten vorausgesetzt, der Therapeut/die Therapeutin leitet weniger an und lässt dem Patienten mehr Freiraum für seine eigenen Prozesse.
Entwicklungen in der kognitiven Verhaltenstherapie
Semikolon: Was gibt es an neuen Entwicklungen in der kognitiven Verhaltenstherapie?
Valeska Pape: In den letzten Jahren wird zunehmend integrativ gearbeitet. Das bedeutet, dass die Grenzen zwischen Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie immer fließender werden. Insgesamt geht der Trend hin zu individualisierter Medizin. Also nicht: Hier ist ein pauschales Rezept zur Behandlung von Krankheitsbild X, sondern es wird geschaut, was ist das für ein Mensch und wie ist seine Geschichte, was braucht er oder sie ganz individuell?
Außerdem spielen in der sogenannten „dritten Welle“ der Psychotherapie Achtsamkeit und Akzeptanz eine immer größere Rolle. Auch inhaltlich kommen neue Themen auf, zum Beispiel Klimaangst.
Semikolon: Was bedeutet die Digitalisierung von Medizinprodukten für die Verhaltenstherapie?
Valeska Pape: Es gibt immer mehr digitale Gesundheitsanwendungen, für die die Kosten von der Krankenkasse getragen werden und die von Ärtz:innen oder Psychotherapeut:innen verschrieben werden müssen. Wissenschaftlich überprüfte Programme sind auf der Seite vom BfArM gelistet. Das sind zum Beispiel 90-tägige Kurse oder tägliche Stimmungsabfragen, die auf Modellen aus der Verhaltenstherapie beruhen. Das ersetzt keine Therapie, aber wir haben eine so ausgeprägte Unterversorgung, dass das oft zumindest ein Anfang sein kann, z.B. während man auf einen Therapieplatz wartet, oder nach Beenden einer Therapie vor Rückfällen schützen kann. Der Haupt-Wirkfaktor von Psychotherapie ist und bleibt die Beziehung zwischen Patient:in und Therapeut:in – daher werden die Online-Programme vor allem als Zusatztool verstanden.
Der zweite Teil des Interviews, in dem Valeska Pape davon erzählt, wie kognitive Verhaltenstherapie in der Praxis aussieht folgt in der nächsten Woche.