Rabea Weihser Titelbild

Autorin Rabea Weihser „Wie wir so schön wurden“

Schön, schöner, am schönsten

In ihrem Buch “Wie wir so schön wurden. Eine Biografie des Gesichts” geht die Autorin und Journalistin Rabea Weihser Schönheit historisch, kulturell und politisch auf den Grund. Wir haben sie danach gefragt, welchen Einfluss die sozialen Medien auf Schönheitsideale haben, warum wir immer besser aussehen wollen und was ein schöner Charakter ist.

Inhalt

Schönheit - Was ist das?

Was ist Schönheit, Rabea Weihser?

Ich habe für mein Buch lange recherchiert, was ein schöner Mensch ist und ob es eine Systematik dahinter gibt. In der philosophischen Disziplin der Ästhetik wird der schöne Körper seit der Antike immer im Zusammenhang mit dem schönen Geist betrachtet. „Mens sana in corpore sanum“ und so. Besonders spannend finde ich das im Zusammenhang mit unserer heutigen Medienrealität:

Wir sind digital ständig umgeben von Körpern, Gesichtern, von Menschen, die wir schön nennen – ohne ihren Charakter zu kennen. Eigentlich meinen wir aber nur Attraktivität. Sie anhand von Fotos und Videos feststellbar. Filter und KI machen ohnehin alles attraktiver. Aber ist wahre Schönheit dann bloß Magie, eine Fantasie? Ich habe mich lange dagegen gesträubt, den alten Griechen zu glauben. Zumal es ja großartig kluge, aber doch physisch eher unattraktive antike Philosophen gab.

Und was hat dich schließlich doch überzeugt?

Lisa Katharin Schmalzried hat über diese Frage ihre Habilitation verfasst, sie hat von der Antike bis heute alle philosophischen Theorien zur Definition von Schönheit systematisch gewichtet und kam zu dem Ergebnis: Es gibt dieses Untrennbarkeitsphänomen tatsächlich. Zu einem „schönen Menschen“ gehören äußere und innere Schönheit, der attraktive Körper also genauso wie ein schöner Charakter.

Was ist das – ein schöner Charakter?

Einen schönen Charakter hat eine Person, die konstruktiv in die Welt schaut und selbstbewusst ist. Die einen lebhaften Geist hat und mit anderen Menschen gut umgehen kann. Eine Person, die wir unbedingt unseren Freunden vorstellen, mit der wir ganz viel teilen und erleben wollen. Solche Persönlichkeiten treffen wir selten im Leben. Und wie oft sieht diese Person dann optimal aus? Diese Einheit von schönem Körper und Charakter ist sehr selten. Vielleicht auch nur ein hehres Ideal. Wie die schöne Helena: eine Vorstellung.

Schön sein = glücklich sein?

Also ist ein attraktives Äußeres kein Garant für persönliche Zufriedenheit?

Wer optisch attraktiv geboren wird, erlebt viele soziale Vorteile. Er oder sie wird zum Beispiel besser behandelt und beruflich bevorzugt. Aber die meisten attraktiven Personen merken irgendwann, dass es dabei nur um ihr Äußeres geht. Das Topmodel Emily Ratajkowski hat zum Beispiel ein Buch darüber geschrieben, wie sie, obwohl sie schon immer für ihren Körper gefeiert wurde, von Minderwertigkeitskomplexen geplagt wird. Die meisten Menschen wünschen sich doch, für ihre Talente und ihr Tun, für ihr Wesen anerkannt zu werden. Ein attraktiver Körper ist hilfreich, aber erfüllt er das Selbst mit Sinn? Da kann schnell etwas aus der Balance geraten, wenn man weiß, dass andere nur die eigene Oberfläche wahrnehmen. Wir können also nicht davon ausgehen, dass superattraktive Menschen auch superglücklich sind.

Eigentlich, so schreibst Du es, gelten all diese sozialen Vorteile auch schon für Menschen, die mit ihrem Aussehen dem Durchschnitt entsprechen.

Der sogenannte „Halo-Effekt“, der dazu führt, dass Menschen als klüger, vertrauenswürdiger und freundlicher wahrgenommen werden und man ihnen ein nettes soziales Umfeld zutraut, greift schon, wenn man aussieht wie der Durchschnitt der Population. Bei überdurchschnittlich gutaussehenden Menschen gehen wir dann bloß zusätzlich davon aus, dass sie noch mehr Freunde haben.

Trotzdem streben die wenigsten danach, wie der Durchschnitt auszusehen, oder?

Wir orientieren uns an Idealen, die sich immer weiter verschieben. Biologisch und soziologisch genügt der Durchschnitt, aber medienkulturell bedingt streben wir nach einem unerreichbaren Optimum. Ständig sehen wir bearbeitete, gestaltete, operierte, KI-generierte Gesichter.

Die Bilder, von denen es auf Social Media nur so wimmelt, verändern unsere Wahrnehmung des optischen Durchschnitts. Das ist gefährlich ist, weil es suggeriert, dass es normal und unablässig sei, seine Ressourcen für Kosmetik, Selbstoptimierung und chirurgische Eingriffe auszugeben.

Dabei geht es dann – nach antiker Definition – gar nicht um Schönheit, sondern nur um Attraktivität, oder?

Genau. Denn nur Attraktivität ist so exakt messbar: Wie weit stehen die Augen auseinander, wie hoch ist der Abstand zur Augenbraue und so weiter. Dieser Vermessungsfetisch entspricht dem sehr modischen Prinzip des „Quantified Self“. Dennoch liegt auch eine tiefere Bedeutung in dem, was wir attraktiv finden. Das ist nämlich in den meisten Populationen auf der Welt gleich und drückt körperliche Gesundheit aus, die wiederum auf Fruchtbarkeit oder gute Gene schließen lässt. Hier begann eigentlich meine Buchrecherche. Ich dachte: Heute wollen sich doch gar nicht mehr alle fortpflanzen, und Geschlechterrollen verändern sich – warum also sind die biologischen Determinanten noch immer so prägend? Naiv angesichts der Jahrmillionen Evolutionsgeschichte, die uns hierher gebracht haben. Massenmedien haben wir erst seit 120 und Smartphones seit 15 Jahren. So schnell kann sich eine genetische Prägung kaum verändern. Aber ich wollte eben auch verstehen, was gleichbleibt.

Und: Was bleibt gleich?

Die Angst vor Krankheiten und dem Tod. Menschen wollen ihr Überleben sichern. Gesundheit und Fruchtbarkeit helfen dabei. Und darin – wenn man so essenzialistisch argumentieren möchte – liegt der Gender Age Gap begründet. Grob gesagt sind Frauen bis etwa 40 fruchtbar, Männer bis zum Tod. Deswegen hat es sich über die letzten circa 2.000 Jahre zementiert, dass Frauen ab Mitte 40 – zynisch gesprochen – nicht mehr gebraucht werden und Männer sich dann nach Jüngeren umschauen. Allerdings ist ja multiple Reproduktion heute kein Überlebensfaktor mehr, das Individuum ist nicht mehr auf den Schutz der Sippe angewiesen, und es herrscht bereits Überpopulation auf diesem Planeten. Der Gender Age Gap beschreibt also aus heutiger Perspektive ein sexistisches, absolut unzeitgemäßes Verhalten.

Momentan sind in Hollywood zunehmend ältere Schauspielerinnen präsent, zum Beispiel Nicole Kidman oder Demi Moore. Ist das ein Fortschritt?

Ich betrachte das mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es natürlich positiv, dass Frauen ab 40 in fiktiven Stoffen vermehrt als aktive Mitglieder der Gesellschaft gezeigt werden. Es gibt schließlich ein Leben nach der Fruchtbarkeit, meist noch mehr als 40 weitere Jahre! Andererseits sind die Schauspielerinnen, die besetzt werden, recht selten auf naturbelassene Weise gealtert. Im Moment wird vor allem das Klischee der MILF bedient, die 49 ist, aussieht wie 35, sexuell aktiv ist und sich einen 20 Jahre jüngeren Toyboy anlacht.

Schönheit & Social Media

In deinem Buch benutzt du den Begriff „Makel-Kompositum“. Eine Beschreibung dafür, wie viele sich selbst sehen?

Wenn man sich einmal damit beschäftigt hat, wie ideale Gesichter aussehen und wie messbar Attraktivität ist, ist der Reiz groß, es an sich selbst zu überprüfen. So wie Jungs es wahrscheinlich irgendwann mit der Länge ihres Penis machen. Dann schaut man also und stellt fest: Okay, meine Nase ist so und so lang – aber im Vergleich zum Gesicht sollte sie kleiner sein. Das war bisher chirurgisches Wissen. Je mehr Kartografie und Idealdaten verbreitet werden, desto deutlicher können wir Abweichungen feststellen – und denken dann womöglich: Oh je, bei mir ist ja alles falsch.

Welche Rolle spielt Social Media bei alldem?

Viele psychologische Studien legen nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Social-Media-Nutzung und dem Anstieg von Körperwahrnehmungsstörungen, Minderwertigkeitskomplexen, Depressionen und Suizidgedanken gibt, gerade unter jungen Menschen. Der ständige Vergleich mit anderen, aufwändig optimierten Gestalten, erzeugt häufig das Gefühl, nicht gut genug zu sein.

Auch negative Gefühle lassen sich heute auf Social Media vermarkten, zum Beispiel mit der „Sad Girl Ästhetik“, mit der junge Frauen ihr Leid zu etwas Schönem stilisieren.

All der Oberflächlichkeit der sozialen Netzwerke haben wir in den vergangenen zehn Jahren die öffentliche Ausschürfung unserer Innerlichkeit entgegengesetzt. Die glattpolierten Oberflächen schreien ja quasi nach einer emotionalen Aufrichtigkeit, die dann auch wieder inszeniert wird. Also machen manche Menschen ihre Psyche zum unique selling point. Auch das ist wieder ambivalent. Einerseits finden Menschen mit bestimmten Herausforderungen so ihre Peer Groups, was erstmal gut ist. Andererseits ist nie ganz klar: Was ist echt und was nicht? Das Innere auszubreiten, bringt Follower und Geld, aber führt selten zur eigenen besseren mentalen Verfassung, weil man sich ja in ein parasoziales Belohnungssystem verstrickt, dem man sich psychisch komplett ausliefern müsste, um erfolgreich zu bleiben.

Findest Du nach deiner Recherche, dass es mehr gesetzliche Regelungen im Umgang mit Social Media geben sollte?

Ja. Ich finde, dass Social Media erst ab 16 Jahren freigegeben und KI-generierte oder digital verfremdete Inhalte gekennzeichnet werden sollten. Ich bezweifele auch, dass es im Sinne des Gesundheitsschutzes ist, Jugendliche Kosmetikwerbung auszusetzen. Früher hat man Alkohol- und Tabakwerbung allerorts für selbstverständlich gehalten, heute ist sie stark reglementiert. Natürlich sind diese Beispiele nicht gleichzusetzen. Aber sie zeigen, dass sich unser Verständnis von gesundheitsgefährdenden Einflüssen mit der Zeit verändert. Und genau jetzt ist es eben an der Zeit, Minderjährige vor dem Einfluss manipulierter Menschenbilder und der Verquickung von Unterhaltung und Werbung, wie sie sich in den sozialen Medien zeigt, zu schützen.

Gehört es dazu auch, Medienkompetenzen zu trainieren?

Die Generation Alpha hat eine enorme Learning-by-doing-Medienkompetenz. Digital sozialisierte Jugendliche erkennen schon sehr viel technische Manipulation, die ihre Eltern oder Lehrkräfte gar nicht bemerken. Aber wir alle sollten besser verstehen, was eine Online-Inszenierung ist und wie ich mich zu ihr verhalten kann. Der Vergleich mit dem Theater hilft. Diese Kulturform haben wir verstanden: Da ist eine Bühne, auf der wird etwas ausgeleuchtet und jemand verkörpert dort für eine bestimmte Zeit eine Person. Ich kann mir das angucken und mir meinen Reim darauf machen. Irgendwann fällt der Vorhang und wir gehen nach Hause. Die Schauspieler schminken sich ab und dann gehen sie auch nach Hause. Diese Inszenierungen haben ein Ende. Vielleicht nehme ich etwas daraus mit, einen Gedanken oder eine andere Idee. Aber in den seltensten Fällen denke ich danach: Ich will 1:1 das Kostüm der Hauptdarstellerin haben! So wie unser Verhältnis zu Inszenierungen im Theater ist, müsste es im Grunde auch mit Social Media sein, um gesund davonzukommen.

Schönheit: Persönlicher Zugang

Wie ging es dir persönlich bei der Recherche des Buchs und damit, so tief in die optische Selbstverbesserungs- und Schönheits-Bubble einzutauchen?

In den 2010er-Jahren habe ich sehr viele YouTube-Tutorials geschaut. Ich wurde komplett geinfluecet, habe ganz viel gekauft, Schminke, Pinsel, Hautpflege, mit der ich mir fantastische Probleme eingehandelt habe, weil ich zum Beispiel zu viele Säuren nacheinander ausprobiert habe und so weiter. Mit der Pandemie hat es schlagartig aufgehört: Ich bin den Influencerinnen entfolgt, habe keine Blogs mehr gelesen, YouTube geschlossen, keine Produkte mehr gekauft, und hatte mit dieser ganzen Sphäre nichts mehr zu tun. Ohne diese Distanz wäre es auch nie zum Buchprojekt gekommen. Aber es war schon eine Überwindung, mich für die Recherche dort wieder hineinzubegeben. Das Gift wirkt so unbemerkt und schnell.

Wie hat sich das angefühlt?

Wenn ich mir zu viele von diesen Beauty-Accounts ansehe und mir anhöre, was da alles angepriesen und erzählt wird, wie unreflektiert oder unkritisch sich die meisten Personen dort darstellen, dann wird mir heute schlecht. Das ist ein Fast-Food-Gefühl, wie Binge-Eating.

Ist es so geblieben, dass dich diese ganzen Anleitungen, Tutorials und Empfehlungen persönlich nicht mehr so interessieren?

Ich vermute, die Hochphase meiner Selbstgestaltung liegt hinter mir. Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit meinen Wünschen und Bedürfnissen beschäftigt und dadurch ein anderes Verhältnis zu mir gewonnen. Der kalte Blick von außen beeinflusst mich nicht mehr so stark. Da ist jetzt stattdessen eine neue Stärke, eine neue Entspanntheit, eine neue Energie, die sich schön anfühlt.

Rabea Weihser Wie wir so schön wurden

Hinweis: „Wie wir so schön wurden. Eine Biografie des Gesichts“ von Rabea Weihser ist im Diogenes Verlag erschienen. Es wurde dem Semikolon-Blog vom Verlag zur Verfügung gestellt.

Dieser Beitrag wurde von einer ärztlichen Psychotherapeutin redigiert. 

Picture of Maja

Maja

“Psychische Erkrankungen begegnen uns häufiger als wir denken. Wir müssen hinsehen und darüber reden.”