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Therapeutische Sprache im Alltag das triggert mich

Für und Wider: Psychologische Begriffe in der Alltagssprache #geradejetzt

Das triggert mich!

Begriffe aus der Psychotherapie sind Teil der Alltagssprache vieler Menschen geworden. Das löst die Diskussion aus, ob durch eine inflationäre Nutzung von psychologischen Begriffen Leid relativiert wird – oder wir im Gegenteil von der neuen Offenheit profitieren. Ein Für und Wider.

Inhalt

Das Wetter macht mich richtig depri.

Ich kriege direkt Anxiety, wenn ich an Montag denke.

Das triggert mich so!

Mein Chef ist so ein Narzisst.

Und dann habe ich sofort eine Panikattacke geschoben.

Diese oder so ähnliche Sätze kennen wir alle. Und vermutlich haben wir sie schon oft von Menschen gehört, die nicht unter Depression, einer Angst- oder posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Begriffe aus der Psychotherapie kommen in der Alltagssprache an. Daran gibt es viel Kritik. Ist das berechtigt? Ein Für und Wider.

Die Kritik ist berechtigt. Therapeutische Begriffe in der Alltagssprache verharmlosen Krankheiten.

Schlechte Laune heißt nicht depri sein. Und depri nicht gleich depressiv. Werden Begriffe aus der Psychologie lapidar dahergesagt, werden Krankheiten und Leid relativiert. Es gibt einen Unterschied zwischen schlecht drauf und depressiv, genervt und getriggert, Nervosität und Anxiety, Egoismus und Narzissmus.

Im Internet entstehen Gruppierungen, in denen offen über psychische Erkrankungen gesprochen wird, von Depression über Ängste bis ADHS. Dass Aufklärungsarbeit betrieben wird und sich Menschen in Gruppen zusammenschließen, ist eine positive Entwicklung – nicht aber die gedankenlose Übernahme von therapeutischen Begriffen. Die auch benutzt werden, ohne dass die Bedeutung der Fachworte wirklich bekannt ist. Ein Hyperfokus beispielsweise ist mehr als Konzentration, sondern ein Phänomen, bei dem Menschen mit AD(H)S oder aus dem Autismusspektrum sich einer Aufgabe oder einem Thema sehr interessiert, intensiv und ausdauernd hingeben. Die Vielverwendung von therapeutischen oder psychologischen Begriffen führt zu Unschärfen – und das kann Leid verursachen. Bei Menschen, die vielleicht echt depri sind oder wirklich Anxiety haben, aber eben anders als das Gegenüber: mit langer Krankheitsgeschichte, nicht nur weil die Sonne gerade nicht scheint, nicht nur, weil bald wieder Montag ist. Hat jemand eine Depression verschwindet die nicht mit einem Wetterwechsel.

Der Therapie-Sprech scheint in vielen Fällen genau das Gegenteil dessen zu bewirken, was vielleicht das Ziel sein sollte: Statt zu mehr Offenheit beizutragen, werden tatsächliche Krankheiten und damit einhergehende Gefühle oder Phänomene relativiert. Das Verständnis für Menschen, die von tatsächlichen Triggern oder ihrer Anxiety erzählen, schwindet. Vielleicht müssen sie sogar anfügen, dass sie das wirklich haben, so richtig echt. Dabei sollte gerade die Verwendung der Fachsprache eben nicht dazu beitragen, sich noch zusätzlich erklären zu müssen. Für Krankheiten, bei denen mehr Sport, eine gesündere Ernährung und ein freies Wochenende in der Regel nicht alleine ausreichen, damit es Betroffenen wieder besser geht.

Die Kritik ist nicht berechtigt. Das therapeutische Begriffe im Alltag ankommen, führt zu mehr Offenheit.

Trigger, Trauma, Depression, Hypochonder, Zwänge – all diese Begriffe sind längst in der Alltagssprache angekommen.

Auf Social Media hören wir regelmäßig von “Neurodiversität” und spätestens seit dem öffentlichen Prozess zwischen Amber Heard und Johnny Depp ist Wissen über Narzissmus und Borderline in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In der Debatte um die Verwendung von psychologischen Begriffen geht nicht um die eindeutig stigmatisierende Nutzung von Ausdrücken wie “Irrenanstalt”, “Klapsmühle”, “Schizo”, “Psycho” – sondern um eine beinahe inflationäre Nutzung von Fachbegriffen. Die Glamour nennt es einen Trend, “Therapie-Slang”, zu benutzen. Und bemerkt, dass dies gefährlich sein könne. Weil… ja genau, warum eigentlich? Werden Begriffe aus der Psychotherapie auch im Alltag genutzt, bedeutet das nicht automatisch, dass die Ernsthaftigkeit dahinter vergessen wird, oder einer bestimmten Gruppe ihre Sprache aberkannt werden soll.

Vielmehr gewöhnen wir uns daran, Begriffe aus der Psychotherapie zu hören – und so werden vielleicht Hürden abgebaut, von eigenen Panikattacken oder Anxiety zu sprechen. Dass viele Menschen auf Therapieplätze warten und psychische Erkrankungen auf Social Media immer weiter aus der Tabu-Ecke rücken, wie die Glamour anführt, sind eben keine Argument dafür, dass der Umgang mit den Fachbegriffen kritisch zu beurteilen wäre. Ganz im Gegenteil! Braucht es eine Diagnose als Erlaubnis, um therapeutische Begriffe in die Alltagssprache einfließen zu lassen? Und wer sagt überhaupt, dass es nur Menschen sind, die nicht von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, die Ausdrücke wie “das triggert mich” in ihre Alltagssprache einfließen lassen? Genauso können Menschen mit diagnostizierter psychischer Erkrankung therapeutische Begriffe in einen anderen Kontext ziehen und über Trigger reden, die nichts mit einer PTBS zu tun haben, oder von Panik, die im klinischen Sinne keiner Panikstörung entspricht. Es geht nicht darum, zu entscheiden, wer was sagen darf, sondern darum, einen aufgeklärten und sensiblen Umgang damit zu finden. Durch die Nutzung der Begriffe, im Alltag, der Popkultur oder auf Social Media wissen heute mehr Menschen, was ein Trigger ist. Was Anxiety heißt. Was Depressionen sind. Zumindest theoretisch. Dass wir Begriffe adaptieren, die wir oft hören, ist ganz normal. Und vielleicht auch gar nicht schlecht.

 

Dieser Beitrag wurde von einer ärztlichen Psychotherapeutin redigiert. 

Maja

Maja

“Psychische Erkrankungen begegnen uns häufiger als wir denken. Wir müssen hinsehen und darüber reden.”