Alle müssen irgendwann sterben
Wie schreibt man eine Rezension über ein Buch, in dem die Autorin über den plötzlichen Tod ihres Sohnes und die eigene Herzerkrankung, die ihr Leben verkürzen könnte, berichtet?
Vielleicht sollte so ein Text mit einem Dank beginnen, für die Ehrlichkeit von Katja Lewina in ihrem Buch “Was ist schon für immer”.
Sterben müssen wir alle, das lernen wir schon als Kinder. Aber sterben, das ist eher etwas für alte Menschen. Das zumindest dürfen diejenigen glauben, die von der Konfrontation mit dem Tod verschont bleiben, bis die eigenen Großeltern zu Grabe getragen werden müssen.
Katja Lewina plädiert in ihrem Buch dafür, dass es kein “Verschonen” vor dem Thema Tod geben sollte. Das Sterben krachte in ihr Leben ein, mit dem Tod ihres siebenjährigen Sohnes Edgar vor drei Jahren. Kurz danach erhielt sie die Diagnose für eine Herzerkrankung, die ihr jederzeit das Leben kosten kann. Was tut man, wenn der Tod im eigenen Alltag auf einmal so eine große Rolle spielt, wenn man das Thema nicht mehr auf “irgendwann später” vertagen kann? Eine der Antworten von Katja Lewina ist, genau das zuzulassen. Dem Sterben Raum im jetzt zu geben, darüber zu sprechen, sich vorzubereiten. Für sie bedeutet das auch: “Ehrlichkeit zu lernen”.
In 12 Kapiteln schreibt sie über die verschiedenen Facetten des Sterbens – und damit des Lebens, zu dem die Endlichkeit nun einmal dazugehört. Und das ohne “Carpe-Diem-Plattitüden”, so Lewina.
Edgar
“Es fällt mir schwer das zu schreiben. Nicht nur meinetwegen, sondern Ihretwegen”, schreibt Lewina, als sie von dem Tod ihres Sohnes berichtet. Ihre Leserschaft fühle sich wohl unangenehm berührt, bekomme emotionale Fluchtreflexe, mutmaßt sie, denn so habe sie es im echten Leben, wenn sie von dem Tod ihres siebenjährigen Sohn erzählte, oft erlebt.
Doch sie erzählt die Geschichte trotzdem. Und es ist wichtig sie zu hören, so schmerzhaft sie ist. Sie lässt nicht nur verstehen, wie der Tod mit einer brutalen Plötzlichkeit, das tote Kind in den Armen haltend, in Lewinas Leben rückte, sondern auch, wieso es so elementar ist, den Tod nicht ständig aussperren und ausklammern zu wollen.
“Nie hätte ich gedacht, dass eins meiner Kinder so unerwartet sterben könnte. Also in der Theorie, das ja. Das wissen wir alle, dass es so etwas gibt, irgendwo da draußen. Aber in echt, hier bei mir zu Hause, in meinen Armen … Das war für mich unvorstellbar. Und vielleicht war es das sogar zu Recht. Wozu hätte man sich so etwas vorstellen können?”, schreibt Katja Lewina in dem Kapitel “Bis dass der Tod euch scheidet”. Sie berichtet von ihrer Trauer, der Lähmung, die nach dem Tod Edgars kam. Aber auch davon, wie seine Jacke noch immer an der Tür hängt und seine Trinkflasche im Schrank steht. Dass das eine der Formen sich an ihn zu erinnern ist, die für ihre Familie gut ist. Ihn im Alltag zu behalten, einmal im Monat sein Lieblingsessen zuzubereiten, Geburtstag und Sterbetag gemeinsam zu begehen, zum Beispiel mit gemeinsamen Kino-Besuchen. Lewina macht sich in ihrem Text auch dafür stark, dass jede Trauer andere Formen haben darf. Es kann genauso heißen, im Kino zum Gedenken Nachos zu bestellen, wie die kleinen Schuhe im Regal stehen zu lassen. “All diese Rituale, die dem Verstorbenen dienen sollen, trösten in erster Linie nur uns selbst, und daran ist überhaupt nichts Falsches oder Egoistisches. Wie sind es ja, die irgendwie weitermachen müssen. Die hier zurückgeblieben sind mit all dem Schmerz”, schreibt sie dazu in dem Abschnitt “Aftershow-Party”. Eines ihrer Rituale ist es, regelmäßig das Grab ihres Sohnes zu besuchen und dort zu weinen. Um das Leben, das sie hatte, die Familie die sie waren, die Unbeschwertheit und das Gesund-sein, die nicht mehr so sind, wie zuvor, beschreibt sie. Am Grab frage sie sich, was ihr Sohn jetzt tun würde. Letztendlich sei sie es selbst, die sich dort Ratschläge gäbe, am Grab. Und trotzdem, “wenn es mir durch die Vorstellung, von meinem toten Sohn zu lernen, gelingt, dann ist das immer noch besser, als daran zu verzweifeln”, räumt sie ein. Auch das macht Lewinas Text aus: Sie beschreibt ihren eigenen Umgang mit dem Tod, ohne ihn zu einem Ideal zu erklären.
Die Liebe
Lewina, die bislang vor allem für ihre Texte über Sex, Lust und Liebe bekannt wurde, schreibt nun auch darüber, wie der Tod des Kindes ihre Ehe veränderte – als ein Teil all der vielen Veränderungen, die der Tod eines Geliebten nach sich zieht.
“Der Verlust hat nur augenscheinlich etwas zwischen uns verändert. Oder sagen wir es so: Er hat Veränderung denkbar gemacht”, schreibt sie. Ihren Mann und sich bezeichnet sie als “dynamisches Paar”, sie führten eine offene Ehe, über die Lewina unter anderem in ihrem Buch “Ex” geschrieben hat. Sie erzählt davon, wie sie gemeinsam getrauert haben und es noch tun, aber auch von ihrer Trennung und ihrem neuen Freund. “In dem Bewusstsein, möglicherweise nicht mehr alle Zeit der Welt für ein gutes Leben zu haben, beschloss ich, mich mit der Entwicklung ein wenig zu beeilen”, so Lewina. In ihrem neuen Text erzählt sie daher auch vom erneuten Verliebt-sein, der Kommunikation mit ihrem Partner über das Thema Tod und ihre Familie. Aber auch von ihren Freundinnen und Freunden und wie sie deren Umgang mit dem Sterben von Angehörigen erlebt hat. All das zeigt, wie unterschiedlich der Tod sein kann und auch, dass das Bewusstmachen der Sterblichkeit keinesfalls vor Schmerz schützen kann. So berichtet sie von einem Freund, dessen unheilbar kranke Mutter durch sogenanntes “Sterbefasten” starb, bei dem die Familie sie begleitete. Dieser Freund habe das Sterben als friedlich erlebt. Die Mutter einer andere Freundin wiederum, ebenfalls erkrankt, sei nur wenige Wochen nach ihrer Diagnose verstorben. Wie wenig Zeit ihr noch blieb, hatten ihre Angehörigen ihr nicht aktiv gesagt, um ihr die Angst vor dem Sterben zu ersparen. Auch wenn Katja Lewina schreibt, in ihr habe sich bei dieser Erzählung viel gesträubt, so habe sie auch verstanden, verschiedene Umgänge mit dem Tod anzunehmen.
Die eigene Sterblichkeit
Der Umgang mit dem Tod bezieht sich bei Katja Lewina nicht allein auf ihre Trauer um Edgar, sondern auch auf ihre Herzerkrankung. Kurz nach dem Tod ihres Sohnes erhielt sie die Diagnose. In der Trauer habe ihr Herz so oft ausgesetzt und sie in Kliniken gebracht, dass die Erbkrankheit, die sie hat, schließlich festgestellt wurde.
Aus der Erfahrung heraus, wie unerwartet der Tod sein kann und mit dem Gefühl des implantierten Defibrillators in ihrer Brust, der immer wieder Stromschläge abgibt, hat sie entschieden, sich aktiv mit dem Sterben zu beschäftigen. Dazu gehört für sie, mit ihren jugendlichen Töchtern über die Erkrankung und den Tod zu sprechen: “Was wir in den letzten Jahren gelernt haben, ist, für alles gewappnet zu sein”, erkärt Lewina. Das bedeutet für ihre Familie das Üben von Notfall-Anrufen und Herzdruckmassagen und Listen mit Notfallnummern neben dem Telefon. Lewina stellt das alles nicht als leicht dar; es gibt die Notwendigkeit dieser Vorbereitungen so wie das Weinen dabei.
Es gibt aber auch Vorbereitungen, die sie ganz alleine trifft, treffen muss. “Seit ich von meiner Herzerkrankung weiß, denke ich zwar täglich daran, dass ich plötzlich sterben könnte, aber die Frage, was mein (drohender) Tod jenseits von Trauer und Schmerz für mein Leben bedeuten könnte, stellte ich mir nicht”, so Lewina. In dem Kapitel “Mein letztes Hemd” nimmt sie die Leser:innen schließlich dabei mit, wie sich all diese Gedanken dann doch macht. Sie schreibt Briefe an ihre Töchter, füllt eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht aus und setzt ein Testament auf. Das alles beschreibt Lewina in einer Form, die sich nahbar und ehrlich anfühlt. So berichtet sie beispielsweise von dem Gedanken, dass sie doch nichts zu vermachen habe, besonders viel Geld habe sie zumindest nicht. Aber dann fällt ihr doch einiges ein, zum Beispiel ihr Schmuck, bei dem sie schließlich darüber verfügt, wer ihn später einmal erben soll. All die Schriftstücke landen in einer bunten Schachtel, bis sie gebraucht werden. Andere Dinge will sie bewusst ihren Angehörigen überlassen, zum Beispiel die Organisation ihrer Beerdigung.
Und jetzt?
Dem Buch von Katja Lewina ist anzumerken, wie sehr sie verstehen will. Wie das gehen kann, mit dem Umgang mit dem Sterben. Sie zitiert Seneca, Feuerbach, Frankl, Epikur und Didion, sie denkt nach, statt stolz zu präsentieren: So funktioniert er also, der gute Umgang mit dem Tod.
Ein Gedanke bleibt dabei besonders hängen. In dem Kapitel “Als ob es dein letzter Tag wäre” beschreibt die Autorin, dass ihr Leben in gewisser Weise ruhiger geworden ist, seitdem sie ihre Diagnose erhalten hat. Das heißt mehr Abende mit Tee auf der Couch, weniger Rauchen, Trinken, Feiern. Sie fragt sich, ob sie es jetzt nicht erst recht krachen lassen sollte. Dieses #Yolo-Klischee kennen wir aus Filmen zur Genüge: noch einmal alles tun, was man machen wollte, Adrenalin, kein Zurück mehr, weg mit dem schnöden Alltagstrott, Bucket-Listen abarbeiten. Auch sie habe Lebensträume, schreibt Lewina, aber keine solche Bucket-Liste, auf der steht, was sie in ihrem Leben alles tun will, zum Beispiel die Niagara-Fälle sehen, ein Café eröffnen oder sich ein Tattoo über den ganzen Rücken stechen lassen. Stattdessen ist da bei ihr der Wunsch, weiterhin zu Schreiben und davon leben zu können ohne so oft an der Pleite zu kratzen und es gibt, schreibt sie, auch noch einige Dinge, die sie im Leben klären will.
Ihr Zustand ist anders als bei Menschen, die eine mit einer Zeitmarke versehene Diagnose bekommen, räumt sie in. Sie weiß nur, der Tod ist ihr näher als anderen. Deswegen macht sie häufiger Wochenendtrips. Aber sie schreibt auch: “Natürlich habe ich nicht jeden Tag gelebt, als ob es mein letzter wäre. Und das habe ich auch in Zukunft nicht vor.” Auch mal Zeit zu verplempern, das sei doch erst entspannend. Und mit der Gewissheit, ihr Leben trotzdem so zu leben, als hätte sie nur dieses eine, wie sie es formuliert, sei auch irgendwie Gelassenheit eingekehrt.
Hinweis: Das Buch “Was ist schon für immer” von Katja Lewina dem Semikolon-Blog vom Dumont-Verlag zur Verfügung gestellt.