„Ich schreibe, seit ich denken kann. Und ich liebe das Internet. Deshalb schreibe ich genau das auch voll“, sagt Kathrin Weßling über sich. Das Internet, das Schreiben, sie nutzt es, um von ihrer chronischen Erkrankung zu erzählen, die sie oft über Wochen daran hinter, ihre Wohnung zu verlassen. Auch Erfahrungen mit ihre ADHS-Diagnose und Depression teilt Kathrin Weßling online, schon seit 15 Jahren. Nur wenige Minuten nach unserer Interviewanfrage sagt sie zu. Drei Tage nach der Buchpremiere zu ihrem fünften Roman „Sonnenhang“ treffen wie sie in einem Google-Meets-Raum. Das ist ihr wegen ihrer Gesundheit am liebsten so.
Chronisch krank
Wie waren die Wochen davor?
Ein krasser Gegensatz zu diesem Abend. Durch meine chronische Erkrankung konnte ich in den letzetn drei Wochen nur zwei, dreimal rausgehen und meistens überhaupt nicht aufstehen.
Teil des Ehlers-Danlos-Syndroms, das ich habe, ist chronische Fatigue, wie man es von Long-Covid kennt. Der letzte Schub kam mit wahnsinnigen Schmerzen und Schwäche. Zu der Krankheit gehört auch, dass mein Magen gelähmt ist und ich mich sehr oft übergeben muss.
Ehlers-Danlos-Syndrom ist eine seltene, chronische Krankheit, die bei einer von 5.000 bis 10.000 Personen auftritt. Es ist ein Sammelbegriff für verschiedene Typen von Bindegewebsstörungen, die teilweise durch eine Hypermobilität der Gelenke, überdehnbare Haut und instabile Gewebe gekennzeichnet sind. Die Erkrankung beruht auf genetischen Defekten und verläuft fortschreitend.
Was hilft dir in diesen Phasen?
Wie fühlt sich ADHS an?
Das hängt ja viel zusammen. Ich erlebe immer noch, dass mich Leute total entgeistert ansehen, wenn ich ihnen erkläre, dass sich das Gehirn mit Depression verändert und man die Krankheit sehen kann. Das Gehirn ist ein Organ, und es kann krank werden. Ich meine, was denken die Leute denn, wie Antidepressiva wirken?
Wenn es mir dann körperlich nicht gut geht und ich mich nicht abreagieren kann, fühle ich mich gefangen in meinem eigenen Körper. Die Kombination mit ADHS ist einfach die Hölle.
Eine Zeit lang war das für mich Gaming, ich habe hypomanisch Zelda gespielt. Ich war der Überzeugung, ganz viele Spiele und unbedingt eine Playstation 5 zu brauchen. Die 500 Euro dafür habe ich ungefähr eine Woche, bevor der Hyperfokus vorbei war, ausgegeben und jetzt steht sie nur herum.
„Die mit der Depression“
Ich habe über meinen Alltag mit Depression und in der Klinik gebloggt. Bevor ich damit angefangen habe, habe ich sehr lange darüber nachgedacht, ob das richtig ist.
Ich habe es gebraucht, ich verzweifelt, auch finanziell. Ich habe von Hartz IV gelebt und war schwer depressiv. Das alles habe ich lange geheim gehalten und 1000 Ausreden für alles Mögliche erfunden. Dieses Verhalten ist irgendwann umgeschlagen in das Bedürfnis, öffentlich darüber zu sprechen.
Es gab Freunde, die sich von mir abgewendet haben, weil ich mich öffentlich so gezeigt habe. Ich selbst habe mich dadurch aber nie verletzlich gefühlt, sondern stark. Schwäche zeigen heißt Stärke, das habe ich gelernt. Außerdem: Leute, die lästern wollen, tun es eh. Egal, wie viel man online von sich preisgibt.
Ich würde nie einfach raten, so offen zu sein wie ich. Ich bin in einer privilegierten Situation, in der ich mich in einem Arbeitsumfeld bewege, was okay damit ist. Und ich lebe in Berlin. Aufgewachsen bin ich aber in einer Kleinstadt. Dort habe ich auch erlebt, dass dann manche schlecht reden.
Erstmal betonen alle, wie viel Verständnis sie haben. Wenn man dann aber wirklich mal über Monate ständig ausfällt, oder es einem schlecht geht und deswegen die Leistung absinkt, dann sind viele auf einem weniger nett. Das Verständnis geht so weit, wie man leistungsfähig bleibt.
Es hat lange gedauert, bis nicht mehr alles, was ich gesagt, geschrieben oder gemacht habe, in diesen Kontext gesetzt wurde. Besonders nach meinem Debüt „Drüberleben“, in dem es um eine junge Frau mit Depressionen in einer Klinik geht, war das so. Aber auch später wurde auf meine Bücher immer projiziert, dass es um Depression ginge. Dabei geht es darin auch um total viele andere Sachen. „Sonnenhang“ habe ich jetzt bewusst anders geschrieben. Ich hatte keinen Bock mehr auf so viel Schwere. Ich wollte auch für mich mal ein bisschen mehr Sonne im Leben.
Sonnenhang / Schreiben
Ja, dieser Name ist echt nach hinten losgegangen (lacht). Ich wollte es eigentlich ad absurdum führen, dass immer alle denken, ich würde nur über mich schreiben.
Wenn Frauen Romane mit einer weiblichen Protagonistin schreiben, dann werden sie immer mit ihnen verglichen. Teilweise macht mich das richtig sauer, weil mir damit unterstellt wird, dass ich mir nichts ausdenken könnte. Selbst bei meinem Buch „Nix passiert“, das eine männliche Hauptfigur hat, dachten viele Kritiker aber noch, dass ich das wäre. Mich nervt das wie sau.
In dem Roman habe ich die Gefühle, in der harten Arbeitswelt immer funktionieren und sich selbst ständig optimieren zu müssen, eingefangen. Wir müssen uns ständig totarbeiten, etwas machen, um etwas wert zu sein. Das ist schon prägend für die Millennials. Mittlerweile wird der Gen Z dagegen vorgeworfen, faul zu sein. Den Wert einer Generation an ihrem ökonomischen Erfolg zu messen, finde ich furchtbar.
Ich wollte selbst auch so ein Ehrenamt machen, konnte aber nicht, weil ich nicht zuverlässig zusagen kann, einmal in der Woche irgendwo zu sein. Ich liebe alte Menschen. In mir selbst wohnt auch eine Omi. Ich liebe Likörchen trinken, ZDF gucken, Kniffeln. In dem Haus, in dem ich wohne, verstehe ich mich auch am besten mit zwei Frauen über 80, Ingrid und Gabi. Die haben alles schon gesehen, die juckt nichts mehr. Und sie wissen, wie wichtig Gesundheit ist.
Von meinen Eltern habe ich früh gelernt, dass Freundschaften alles sind und man sie pflegen muss. Gerade wenn man, wie ich, keine eigene Familie hat. Meine Freundschaften beuteten mir so viel wie anderen Menschen Liebesbeziehungen.
Das Geilste daran ist, dass mir vieles egaler wird. Wenn ich vor zehn Jahren gesagt habe, es sei mir egal, was andere von mir denken, war das Bullshit. Es hat mir alles bedeutet. Heute ist es aber wirklich anders. Wenn Typen im Internet schreiben, ich sei hässlich, dann juckt mich das nicht mehr.
Früher habe ich gesagt, dass Schreiben keine Therapie ist. Aber irgendwie ist es doch so. Also, ein Roman ist keine Therapie, sondern Arbeit. Aber Schreiben ist eine Brücke nach draußen, zu den Menschen. Nicht das Schreiben ist die Therapie, sondern die Resonanz darauf. Das ist Teil des Autorinnen-Seins: Man will Liebe und Aufmerksamkeit und Resonanz und in Kontakt treten mit der Menschheit.
Ja. Ich habe eine Person in meinem Leben, an der ich gesehen habe, was es bedeutet, wenn Angst das Leben beherrscht. Ich habe mal den Satz gelesen: Wo die Angst ist, ist der Weg. Das würde ich mir sogar tätowieren lassen.
Ich mache, wovor ich Angst habe. Jetzt nicht Fallschirmspringen oder so. Aber ich hatte jahrelang Angst davor, ein neues Buch herauszubringen, weil ich so müde davon war, bewertet oder fertiggemacht zu werden. Manchmal liegt in dem, wovor man Angst hat, aber das größte Glück versteckt. Wenn man vor etwas Angst hat und es dann trotzdem schafft, ist das die maximale Glückseligkeit.

Hinweis: Die Bücher „Sonnenhang“ und die Neuauflage von „Drüberleben“ wurde dem Semikolon-Blog vom Rowohlt-Verlag zur Verfügung gestellt.