Ella TheBee Wochenbettdepression

Ella TheBee über postnatale Depression

Wann kommen endlich die Glücksgefühle?

Ella ist als “Ella TheBee” auf YouTube, Instagram und als Podcasterin zu finden. Und: Ella spricht auf diesen Kanälen über die Wochenbettdepression, die sie nach der Geburt ihres Sohnes hatte. Im Interview mit Semikolon erzählt sie von Schuldgefühlen, Schaltern im Kopf und wie es ist, das Gefühl zu haben “mit mir stimmt etwas nicht”.

Inhalt

Ella ist online als “Ella TheBee” bekannt. Sich selbst bezeichnet sie als Traumtänzerin, Organisationsfreak und “Content Creatorin mit Leib und Seele”

Auf ihrem YouTube-Kanal spricht Ella seit zehn Jahren über Tipps für einen besseren Kalender, teilt Gedichte und erzählt, was sie gerade bewegt. Auch als Ella schwanger geworden ist, hat sie ihre fast 200.000 Abonnent:innen mitgenommen. 2020 machte Ella in einem Video öffentlich, dass sie nach der Geburt ihres Sohnes unter einer Wochenbettdepression litt – und bricht damit ein Stigma auf.

Wochenbettdepression und die Öffentlichkeit

Semikolon: Warum hast du dich entschieden, das Thema Wochenbettdepression auf deinem YouTube-Kanal öffentlich zu machen?

Ella: Als es mich getroffen hat, dachte ich, mit mir stimmt etwas nicht. Ich fand die Situation schrecklich und dachte, ich kann mein Kind nicht so lieben, wie ich sollte. Ich wollte nicht mehr da sein. Irgendwann habe ich angefangen, online zu recherchieren und psychologische Unterstützung bekommen. Alle Symptome haben auf eine Wochenbettdepression hingedeutet. Aber ich habe niemanden gefunden, der öffentlich über das Thema spricht. Als ich das Gefühl hatte, wieder sicherer im Leben zu stehen, fand ich, dass das thematisiert werden muss. Warum schweigen wir darüber? Weil das Thema mit so viel Scham behaftet ist und man denkt, gleich kommt die Mutter-Polizei. Ich dachte, wenn es auch nur eine andere Mama gibt, der es gerade so geht, wie es mir ging und sie sich dann weniger alleine fühlt, wenn sie mein Video sieht, dann ist es das wert.

Semikolon: Welche Reaktionen bekommst du, wenn du über deine Wochenbettdepression sprichst?

Ella: Ich glaube, dass das erste Problem schon ist, dass man sagt, Mutterglück ist für Frauen das Größte überhaupt. Ich liebe mein Kind und würde es nicht anders wollen. Aber es gibt auch andere Dinge, die für Frauen toll sein können. Auch bei dem Thema Schwangerschaft erzählen alle, wie wundervoll das ist. Ich habe mich gefragt: Warum scheint allen die Sonne aus dem Arsch und ich finde es schrecklich? Bin ich egoistisch? Zur Mutterschaft kommen automatisch Schuldgefühle und Bewertungen von außen.

Es gab auch Menschen, die selbst einen unerfüllten Kinderwunsch hatten und dann sehr wütend auf mich reagiert haben.

Eine Wochenbettdepression (auch postnatale Depression genannt) wird eine Depression genannt, die Eltern (also auch Väter) im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes entwickeln können.

Symptome einer Wochenbettdepression sind häufig:

  • Energiemangel und Antriebslosigkeit
  • Innere Leere
  • Schuldgefühle
  • Ambivalente Gefühle dem Kind gegenüber
  • Hoffnungslosigkeit
  • Taubheitsgefühle
  • Ängste und Panik

Wie fühlt sich eine Wochenbettdepression an?

Semikolon: Wann hast du gemerkt, dass es dir nicht gut geht?

Ella: Ich habe selbst lange versucht, schwanger zu werden. Am Anfang der Schwangerschaft war totale Euphorie da, dass es endlich geklappt hat. Aber meine Schwangerschaft war körperlich schwer, weil ich bis zur Geburt kaum Essen konnte und alles eklig fand. Auch das ist mir schon sehr auf die Psyche geschlagen, weil ich dachte, ich müsste mich einfach mehr zusammenreißen. Da hat die Abwärtsspirale angefangen. Dazu kam, dass wir kurz vor der Geburt umgezogen sind und ich keine Kraft hatte, die Wohnung schön zu machen und dann im Chaos dasaß. Mein Mann musste arbeiten, mein soziales Umfeld war nicht mehr da und ich habe mich sehr einsam gefühlt.

Und dann kam das Kind und der Hormonschock. Nach der Geburt dachte ich: Gleich kommt dieses Glücksgefühl, auf das ich so warte, gleich kommt es bestimmt. Dann wurde mir mein Sohn auf die Brust gelegt und ich dachte: Ach du Scheiße. Das ist jetzt wirklich ein Kind.

Das war ein Gefühl des Schocks. Dafür hatte ich wieder Schuldgefühle und dachte, wahrscheinlich bin ich einfach ein schlechter Mensch.

Semikolon: Konntest du mit jemandem darüber sprechen?

Ella: Am Anfang nicht. Ich versuche meist, die Dinge erst mal für mich zu sortieren. Und dann habe ich gefaket. Nach der Geburt Anfang Juli stand irgendwann meine ganze Familie im Zimmer, 15 Leute, die gesagt haben, wie wunderbar das gerade alles ist. Ich habe nur gehofft, dass sie nicht merken, wie es mir gerade geht.

Als ich mit dem Neugeborenen zu Hause war, habe ich mich überfordert gefühlt und mir ständig versucht zu sagen, dass ich einfach müde bin und mich zusammenreißen muss. Bis zu diesem einen Nachmittag Ende August an dem ich dachte, jetzt geht gar nichts mehr. Ich habe bei einer Hilfshotline angerufen und gesagt, dass ich nicht mehr kann und überlege, alles zu beenden.

Die Frau an der anderen Seite der Leitung hat mich gefragt, wann mein Mann nach Hause käme. In drei Stunden, habe ich gesagt. Und sie hat geantwortet, die würde ich schon noch schaffen.

Ich habe mich gefühlt, als würde ich überdramatisieren, aber mein Kopf hat sich immer weitergedreht. Ich habe überlegt, wie ich mein Kind aufs Sofa legen kann, mit Decken um ihn herum, dass ihm nichts passiert, bis mein Mann nach Hause kommt, wenn ich aus dem Fenster springe. Ich habe trotzdem durchgehalten und bin mit dem Kind auf dem Arm durch den Raum gelaufen, immer von einer Ecke bis zur nächsten, über Stunden. Er hat geschrien, weil er Hunger hatte, aber ich konnte nicht reagieren.

Semikolon: Konntest du später mit deinem Mann darüber reden?

Ella: Als mein Mann nach Hause gekommen ist, hat er mir sofort den Kleinen abgenommen. Ich saß apathisch auf der Couch, bis ich es geschafft habe, ihm zu sagen, wie es mir ging. Ich konnte das alles ganz ruhig sagen, deswegen konnte er nicht sofort erkennen, wie ernst es ist. Als ich gesagt habe, dass ich seine Hilfe brauche und wirklich nicht weiß, wie ich weiterleben soll, hat er begriffen, wie schlimm es schon war. Hätte ich es vorher geschafft, etwas zu sagen, wäre es vielleicht nicht bis zu diesem Punkt gekommen. Deswegen spreche ich jetzt darüber.

Semikolon: Wie ging es dann weiter?

Ella: Wir hatten das große Glück, dass der Chef meines Mannes das Thema aus dem eigenen Umfeld kannte. Mein Mann wurde dann vier Wochen freigestellt und wir haben uns gemeinsam um unser Kind gekümmert.

Was geholfen hat, war aber eben auch Abstand von meinem Kind. Das ist gesellschaftlich schwer zu erklären. Wenn das Kind mal geschlafen hat, habe ich anfangs meistens versucht, etwas zu arbeiten, irgendwie produktiv zu sein. In dieser späteren Phase habe ich dann angefangen in diesen Zeiten, wenn mein Mann da war, auch mal spazieren zu gehen und eine Weile allein sein zu können. Desto mehr ich das gemacht habe, desto besser war es für mich auch wieder Zeit mit dem Kind zu verbringen.

Diese akute Phase hat bis Mitte Dezember gedauert und da haben wir dann auch überlegt, zurück nach Berlin in unser gewohntes Umfeld zu ziehen.

Unterstützung und Therapie

Semikolon: Wie hat sich das auf die Beziehung zu deinem Kind ausgewirkt?

Ella: An dem ersten Geburtstag meines Sohnes habe ich einen Moment lang daran gedacht, dass andere oft sagen, wie emotional sie mit ihren Kindern sind. Das war ich auch, aber in einer anderen Form. An seinem Geburtstag habe ich das erste Mal wirklich gespürt: Oh Gott, ich liebe ihn so sehr, ich platze gleich vor Liebe. Unser Verhältnis hat sich sehr verändert. Wenn ich von dieser schweren Zeit spreche, sage ich auch immer „das Kind“. Später ändert sich das. Er hat sich damals zum Beispiel nie von mir beruhigen lassen. Ich glaube, er hat auch gemerkt, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war. Vielleicht hat er auch so viel geschrien, weil er dachte, dass er Bescheid geben muss.

Je besser es mir ging, desto besser ist auch unser Verhältnis geworden. Jetzt sind wir uns sehr nah. Ich hatte Angst, dass etwas davon übrig bleibt. Dass ich vielleicht denke, ja, er ist schon süß und cool, aber ich bin nicht krass verliebt in ihn. Aber so ist es nicht.

Semikolon: Wie hast du Unterstützung bekommen?

Ella: Ich hatte Therapie und mir ist auch geraten worden, in eine Klinik zu gehen. Wichtig war aber vor allem das Gefühl zu begreifen, was denn eigentlich los ist und zu verstehen, dass ich keine schlechte Mutter bin und mir nicht ausgesucht habe, wie es mir ging. Dem Ding einen Namen geben zu können, hat mir auch geholfen.

Semikolon: Was würdest du Frauen raten, die nach der Geburt merken, dass es ihnen schlecht geht?

Ella: Ich würde dazu raten, schon in der Schwangerschaft zu schauen, mit wem man reden kann und nicht alles mit sich auszumachen. Außerdem gibt es Akutsprechstunden für Schwangere.

Überhaupt muss man sich nicht dafür schämen, um Hilfe zu bitten und Zeit für sich zu brauchen. Das ist dann kein egoistischer Move, sondern manchmal notwendig, um eine gute Mutter sein zu können.

Hilfe findest du zum Beispiel hier.

Semikolon: Wie kann das Umfeld erkennen, dass es einer Frau nach der Geburt nicht gut geht?

Ella: Wenn man merkt, eine Frau ist viel ruhiger und anders als vorher, ist es gut, aufmerksam zu sein. Das muss nicht direkt eine Wochenbettdepression sein, aber Entlastung hilft immer. Vielleicht kann man einfach mal was zu essen vorbeibringen oder bei der Kinderbetreuung helfen. Das Gefühl zu haben, nicht alles alleine machen zu müssen, hat mir viele Lichtblicke gegeben.

Die Beziehung zum Kind

Semikolon: Was hilft dir heute im Alltag, wenn es dir nicht gut geht?

Ella: Wenn ich merke, dass ich keinen guten Tag habe, stelle ich mir vor, dass ich einen Schalter in meinem Kopf umlege und mache bewusst Sachen, auf die ich in dem Moment überhaupt keine Lust habe. Meistens ist es so, dass ich mich an diesen Tagen nur hinlegen und für mich sein will. Aber dann muss ich exakt das Gegenteil tun: raus, mich bewegen, Freundinnen anrufen. Das ist tierisch anstrengend, aber ich weiß, dass es mir danach besser geht.

Auch was meine Schuldgefühle angeht, habe ich sehr heilsame Rückmeldungen von meinen Freundinnen bekommen, die mir sagen, dass sie mich als liebevolle und geduldige Mama erleben. Auch wenn ich nicht perfekt bin, mache ich einen guten Job. Jetzt gucke ich meinen Sohn an und denke: Er ist so ein Schatzekind mit Lümmelkopf und gutem Herzen und ich bin so unendlich dankbar, dass ich seine Mama sein darf. Trotz der Trennung von meinem Mann und mir ist er ein glücklicher kleiner Kerl. Darauf bin ich sehr stolz.

Semikolon: Wie gehst du damit um, dass dein Kind dieses Interview vielleicht irgendwann lesen könnte?

Ella: Ich handhabe es so, dass ich ihm die Fragen, die er mir stellt, beantworte. Er ist noch klein und kann das noch nicht alles begreifen. Trotzdem gab es letztens eine Situation, in der eine Freundin ihrem Sohn erzählt hat, dass sie so glücklich und voller Liebe war, als er geboren wurde. Mein Sohn hat mich gefragt, ob das bei mir auch so war. Ich habe gesagt: Ja, aber bei mir war das eingebuddelt, wie in einem Sandkasten auf dem Spielplatz. Wir mussten das erst zusammen ausbuddeln.

,Hat das lange gedauert´?, hat er gefragt.

,Ja, eine Weile hat es schon gedauert, aber wir haben es zusammen hinbekommen´, habe ich gesagt.

Später will ich weiter mit ihm über das Thema sprechen, weil ganz wichtig ist, dass er versteht, dass er keine Schuld trägt. Es ging mir nicht schlecht, weil er geboren wurde, sondern weil bei mir etwas nicht in Ordnung war. Ich möchte, dass er lernt, dass wir alle Menschen sind, die durch unterschiedliche Phasen gehen, Fehler haben und wachsen. Wenn er mal eine schwere Phase hat, dann will ich ihm mit dem was ich gelernt habe helfen. Die Generation meiner Eltern hat über solche Themen nicht gesprochen. Dass das heute anders ist, finde ich gut.

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Semikolon - Nachgefragt

Semikolon: Denkst du, wir sollten gesellschaftlich mehr über psychische Erkrankungen sprechen? Wenn ja, warum?

Ella: Ja. Manchmal denke ich, meine Generation geht zur Therapie, weil meine Elterngeneration es nicht getan hat. Nicht, weil sie blöd waren, sondern weil es weniger Bewusstsein dafür gab. Wir müssen Therapie den Schrecken nehmen und aufhören, in zwei Klassen einzuteilen: die, die zur Therapie gehen und die, die es nicht tun.

Semikolon: Was kann jede:r Einzelne tun, um einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen zu leisten?

Ella: Es ist wichtig, bei sich selbst anzufangen, in sich hineinzuhorchen und eigene Vorurteile zu hinterfragen. Es ist hilfreich, wenn Menschen, die keine eigenen Erfahrungen mit dem Thema haben, zuhören und sich trauen, nachzufragen. Wenn man den Eindruck hat, dass es jemandem nicht so gut geht, dann kann es gut sein, diesen Eindruck zu teilen und nachzuhaken. Je mehr wir und gegenseitig die Hand geben und wach sind, desto besser.

Wenn es dir nicht gut geht, oder du selbst Suizidgedanken hast, kannst du hier Hilfe finden:

Telefonseelsorge Deutschland, kostenfrei, anonym und rund um die Uhr erreichbar: 0800 / 111 0 11 oder hier per Chat oder Mail.

In jedem Krankenhaus ist es möglich, sich zu Tag und Nacht in der Notaufnahme zu melden. Auch Rettungsdienste (112) und Polizei (110) können im Notfall angerufen werden.

Auch wenn du dir Sorgen um einen Menschen machst, kannst du dich an die Hilfsangebote wenden.

 

Dieser Beitrag wurde von einer ärztlichen Psychotherapeutin redigiert. 

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Maja

“Psychische Erkrankungen begegnen uns häufiger als wir denken. Wir müssen hinsehen und darüber reden.”