Psychiatrische Diagnosen im Fall Amber Heard und Johnny Depp
Borderline, Alkoholismus, Narzissmus. Das sind nur einige der Diagnosen, die verschiedene Psycholog:innen und Psychiater:innen im Prozess zwischen Amber Heard und Johnny Depp gestellt haben. Heard wirft ihrem Ex-Mann häusliche Gewalt vor. Er verklagt sie daraufhin wegen Verleumdung und gibt seinerseits an, dass sie ihm gegenüber gewalttätig war. Sechs Wochen dauerte der öffentliche Prozess, dem über Livestreams Millionen Menschen folgten und dabei zuhörten, wie intime Beziehungsdetails, Kindheitstraumata und psychologische Gutachten vor Gericht auseinandergenommen wurden.
Unzählige Zeitungsartikel, Podcast und TikTok-Videos entstanden, in denen der Fall beleuchtet wurde, Momente aus dem Gerichtslivestream zu Memes wurden und die Debatte über häusliche Gewalt gegen Männer und #metoo hochkochte. Schlussendlich steht das Urteil: Johnny Depp wird recht gegeben, Heard muss ihm mehrere Millionen Dollar zahlen.
Aber auch nach dem Ende des Prozesses ist das Gespräch über den Fall nicht beendet. Dazu gehört die Frage, wie psychische Erkrankungen genutzt wurden, um den Prozess zu beeinflussen. Ob die Diagnosen, die den beiden Prominenten von unterschiedlichen Psycholog:innen gestellt wurden, tatsächlich stimmen, ist umstritten. Die öffentliche Wahrnehmung betreffend ist es allerdings viel wichtiger, dass bestehende Stereotype zu den jeweiligen Krankheitsbildern als Ersatz für fehlende Beweise genutzt wurden.
So wurden vor Gericht von einigen psychischen Erkrankungen Bilder gezeichnet, die als “Täter-” und “Opferdiagnose” instrumentalisiert wurden.
Borderline Persönlichkeitsstörung = chronische Lügner:innen?
Die forensische Psychologin Dr. Shannon Curry, die von Johnny Depps Team beauftragt wurde, diagnostiziere Amber Heard eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Gegenseite nutze die Diagnose, um Heard Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Dies betraf sowohl ihre Vorwürfe der sexualisierten und häuslichen Gewalt gegenüber Johnny Depp als auch die Angabe, unter einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden.
Laut ICD-10 sind mangelnde Impulskontrolle, manipulatives Verhalten und Lügen ein häufiges Symptom der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Dies beruht auf emotionaler Instabilität und großer Angst, verlassen zu werden, unter der viele Menschen mit Borderline leiden. (Für weitere Informationen siehe Infokasten)
Vor Gericht wurden einige umstrittene Aussagen Heards von der Gegenseite genutzt, um sie als Lügen auszulegen. Dabei ging es zum Beispiel im Heards Versprechen, ihre Scheidungsabfindung zu spenden, was bisher nicht geschehen ist. Die Borderline-Erkrankung sollte der Wegbereiter sein, sie als chronische Lügnerin zu inszenieren.
Auch Johnny Depps Vorwürfe, sie sei diejenige gewesen, die ihm gegenüber gewalttätig geworden sei, wurden durch die Diagnose gestützt. Impulsives Verhalten und Wutausbrüche sind ein häufiges Symptom der Borderline-Störung und wurden genutzt, um unbeweisbare Vorwürfe glaubwürdiger zu machen: Die Borderline-Persönlichkeitsstörung „seems to be predictive factor for women who implement violence against their partner“, so Dr. Curry. (Ü: “scheint ein prädiktiver Faktor für Frauen zu sein, die Gewalt gegen ihren Partner ausüben“) Mit der Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung wurde vor Gericht ein Bild von Heard als Täterin gezeichnet. Die Beziehung mit an Borderline Erkrankten kann kompliziert sein und häufig leiden beide Seiten massiv unter dem Krankheitsbild. Dennoch kann man nicht von der Diagnose darauf schließen, ob jemand in einem konkreten Fall die Wahrheit sagt oder lügt.
Die Borderline-Störung ist eine Persönlichkeitsstörung, die sich besonders durch emotionale Instabilität und Impulsivität zeigt und meist durch Kindheitstraumata entsteht.
Hier erfährst du mehr über die Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Posttraumatische Belastungsstörung = nicht alltagsfähig?
Amber Heard gab an, nach der Beziehung mit Johnny Depp unter einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden. Diese sei durch den psychischen und physischen Missbrauch ausgelöst worden.
Dr. Shannon Curry, eine von der Gegenseite beauftragte forensischen Psychologin, gab allerdings an, Amber Heard würde eine posttraumatische Belastungsstörung nur vorspielen. „A lot of people have seen war movies and movies that depict somebody having PTSD“, sagte Dr. Curry. (Ü: „„Viele Menschen haben Kriegsfilme und Filme gesehen, in denen jemand mit PTBS dargestellt wird.“) Mit diesem Wissen solle es leicht sein, eine PTBS zu mimen, durch die sich Heard Mitgefühl und mehr Glaubwürdigkeit mit ihrem manipulativen Verhalten erkaufen wolle – so weit der Vorwurf. „There were also pretty significant indications that she was grossly exaggerating symptoms of PTSD when asked about them.“, so Dr. Curry (Ü: „Es gab auch ziemlich deutliche Hinweise darauf, dass sie die Symptome der PTBS stark übertrieben hat, als sie dazu befragt wurde.”) nach neunundzwanzig Sitzungen mit Heard, während denen die Diagnose PTBS mithilfe eines Fragebogens festgestellt oder fallengelassen werden sollte.
Doch nicht nur der Fragebogen, sondern auch Heards weiteres Verhalten spreche laut Dr. Curry gegen eine PTBS. “A change in function – that is what we´re looking for”, erklärt sie vor Gericht. (Ü: Eine Veränderung der Funktionalität, danach schauen wir.”) “when a person has true ptsd, (…) they become homebound, they can´t go to the store, they are certainly not going to events, they are not exercising everyday, they are not persuing their hobbies, being avid readers.”, fährt sie fort. (Ü: “Wenn eine Person an echter PTBS leidet, (…) ist sie an ihr Zuhause gebunden, sie kann nicht einkaufen gehen, sie geht nicht zu Veranstaltungen, sie treibt nicht jeden Tag Sport, sie geht nicht ihren Hobbys nach, sie ist kein fleißiger Leser.”) Zu den Symptomen einer PTBS gehören unter anderem Vermeidungsverhalten und Isolation, um möglichen Triggern aus dem Weg zu gehen, doch die Ausprägung ist individuell. “PTBS is an extremely disabling diagnosis”, (Ü: „PTBS ist eine extrem einschränkende Diagnose”) schließt sie vor Gericht und erzeugt damit ein starres Bild der Diagnose PTBS, nach der Betroffene völlig unfähig seien, einen Alltag zu leben. Betroffenen, die es trotz PTBS schaffen, große Teile ihres Alltags zu meistern, wird durch Currys Aussage abgesprochen, unter ihrer Erkrankung zu leiden.
Eine Posttraumatische Belastungsstörung entsteht als verzögerte Reaktion eines belastenden Ereignisses. Häufige Symptome sind das wiederholte Erleben des Traumas in Flashbacks, die vor dem Hintergrund des Gefühls von emotionaler Betäubung auftreten. Angst, Depression und Suizidgedanken sind ebenfalls häufig Teil einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Alkoholismus und Drogenmissbrauch = Gewalttätigkeit?
Kokain, MDMA, das Schlafmittel Seroquel, Adderall und Alkohol. Das sind einige der Drogen, die Johnny Depp regelmäßig konsumiert haben soll. Vornehmlich in seinen Rauschzuständen soll er laut Amber Heard ihr gegenüber gewalttätig und ausfällig geworden sein. Bei regelmäßigem und suchtgesteuertem Konsum könne die erkrankte Person laut dem Psychologen Dr. David Spiegel, „irritable, agitated, suspicious, jealous, potentially disinhibited, and psychotic“ werden. (Ü: „reizbar, aufgeregt, misstrauisch, eifersüchtig, potenziell enthemmt und psychotisch”) Dr. Spiegel zählt damit typische Symptome eines Abhängigkeitssyndroms auf. Gesprochen hat Dr. Spiegel mit Depp allerdings nie, dafür unter anderem sein Schauspiel in Fluch der Karibik beobachtet – und erntet dafür viel Kritik. Gegen die Goldwater-Regel, also aus ethischen Gründen keine Diagnosen ohne vorherige Untersuchungen durchzuführen, habe er allerdings nicht verstoßen – nur vorläufige Einschätzungen abgegeben. Der Drogenkonsum Depps und die vermutete Suchterkrankung wurde vor Gericht als Indikatoren für Gewalttätigkeit genutzt. Das Bild ist klar gezeichnet: Im Rausch gerät Depp außer Kontrolle, wird gewalttätig gegenüber Heard. Auch laut ICD-10 ist es so, dass Menschen in Rauschzuständen schneller die Kontrolle über sich selbst verlieren und zu Gewalt neigen. Dennoch wurde vor Gericht die automatische Assoziation des Bildes von Gewalt unter Drogenkonsum genutzt, um fehlende Beweise wettzumachen.
Das Abhängigkeitssyndrom ist eine psychische Verhaltensstörung, ausgelöst durch psychotrope, also die menschliche Psyche beeinflussende Substanzen. Symptome der Abhängigkeit können depressive Verstimmung, erhöhte Reizbarkeit, Aggression, Stimmungsschwankungen und Schlaflosigkeit sein.
Fazit
Ob die Diagnosen, die Johnny Depp und Amber Heard gestellt wurden, stimmen oder nicht, ist von außen nicht bewertbar. Genau so ist es mit der umstrittenen Beweislage und der Frage, wer die Wahrheit sagt.
Aber: Die verschiedenen Symptome der Erkrankungen wurden von beiden Seiten instrumentalisiert, um Heard und Depp jeweils als Täter darzustellen. Damit haben beide Parteien und die Psycholog:innen Menschen, die unter psychischen Stigmata leiden, einen Bärendienst erwiesen.
Teile den Beitrag: