Laura Bipolare Störung Zeichnung

Laura über ihre bipolare Störung 

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Wenn sich Manie und Depression abwechseln

Laura ist 27 Jahre alt und arbeitet als Journalistin. Vor einigen Jahren hat sie eine Weltreise gemacht. Was sie bei allem begleitet: die Diagnose einer bipolaren Störung. Heute ist Laura stabil, erzählt sie. Vor allem, weil sie sich viel mit ihrer Erkrankung auseinandergesetzt hat, offen darüber spricht und schreibt.

Inhalt

Diagnose: Bipolare Störung

Semikolon: Warum hast du dich dazu entschieden, auf dem Blog über Bipolarität zu sprechen?

Laura: Weil ich immer wieder realisiere, wie wichtig das ist. Auch wenn ich jetzt stabil bin, ist es im Alltag ein Thema. Auch weil die Strukturen einfach nicht dafür geschaffen sind, besonders im Arbeitsleben. Ich will mitgestalten und dadurch etwas verändern, dass ich meine Erfahrungen teile.

Die Bipolare Störung ist eine episodische Stimmungsstörung, bei der sich manische und depressive Episoden abwechseln.

 

Semikolon: Wann hast du die Diagnose bekommen, dass du eine bipolare Störung hast?

Laura: Das war ein langer Weg. Bei bipolaren Menschen dauert es im Schnitt acht bis zehn Jahre, bis sie die Diagnose bekommen. Das ist einfach schwerer zu erkennen als eine Depression. Außerdem muss man sich erstmal helfen lassen wollen. Ich habe meine endgültige Diagnose 2019 bekommen. Rückblickend würde ich aber sagen, dass ich schon 2010 das erste Mal depressiv war.

Die bipolare Störung wird in zwei Typen eingeteilt. Bei der bipolaren Störung Typ 1 haben Betroffene ausgeprägte Manien und Depressionen, bei einer bipolaren Störung Typ 2 sind die Manien schwächer ausgeprägt, man spricht von Hypomanien. Etwa 3 von 100 Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer bipolaren Störung. Die Krankheit tritt überwiegend im frühen Erwachsenenalter auf.

Semikolon: Wie hat es sich angefühlt, die Diagnose zu bekommen?

Laura: Das war eine bizarre Zeit, in der ich sehr manisch war. Erst mal war es gut, durch die Diagnose eine Art Antwort zu haben.

Spätestens ein Jahr später, in meiner nächsten manischen Phase, habe mich dann aber auch sehr über-identifiziert damit und die bipolare Störung war die Antwort auf alles, ich habe alles schwarz-weiß gesehen und mir alles in meinem Leben mit der Krankheit erklärt. Das hat sich aber auch wieder verändert.

Semikolon: Wie erklärst du eine bipolare Störung?

Laura:  Es gibt ganz unterschiedliche Formen, aber im Grundsatz sind es zwei Phasen, die sich von einem “normalen Zustand” unterscheiden, die Manie und die Depression, also hoch und tief wie bei einer Achterbahnfahrt.

Bei einer Depression hat man keine Energie mehr und zieht sich zurück. Die Manie ist das komplette Gegenteil. Man ist super lebensfroh, energetisch, voller Ideen und Tatendrang. Man fühlt sich sehr gut, fast wie ein Gott. Man denkt, man könne alles erreichen, was man will.

Manie und Depression

Semikolon: Wie wechseln sich die Phasen bei dir ab?

Laura: Bei mir dauern die Phasen ungefähr ein halbes Jahr. Im Winter war ich immer depressiv, das hat sich eine Weile davor angeschlichen. Drei Monate war es auf dem Höhepunkt und dann ist es langsam wieder abgeklungen. Im Sommer kam dann die manische Phase.

Mit den Übergängen von der Depression in die Manie und andersrum würde ich sagen, dass ich vier verschiedene Phasen im Jahr hatte.

Semikolon: Wann hattest du deine erste manische Phase?

Laura: Das war nach meiner Weltreise. Ich war an den schönsten Orten der Welt, aber es ging mir nicht gut. Nach der Weltreise habe ich noch mal Interrail gemacht und mich dabei krass mit einer Freundin gestritten und einen Vollzeitjob am Flughafen angefangen, der finanziell nicht notwendig gewesen wäre. Ich habe mich kaputt gearbeitet und alles, was ich getan habe sehr exzessiv ausgelebt. Da war schon auffällig, dass etwas nicht stimmt.

Symptome

  • Euphorie
  • Reizbarkeit
  • erhöhte Energie und Aktivität
  • Ideenflut
  • Impulsives und rücksichtsloses Verhalten
  • vermindertes Schlafbedürfnis
  • gesteigertes Selbstwertgefühl

Semikolon: Wie sahen deine manischen Phasen sonst aus?

Laura: Zum Beispiel war ich um sechs Uhr morgens hellwach und wollte sofort durchstarten. Also Fenster auf und laute Musik an, egal ob man damit jemanden stört – fast schon mit Absicht. Dann habe ich die ganze WG geputzt, den Kühlschrank geleert, den auch noch geputzt und dann die Fenster. Da war noch nicht einmal der halbe Vormittag rum und ich habe mich gelangweilt, also habe ich einen Artikel geschrieben und Ideen für Projekte oder Start-Ups entwickelt. An dem Tag, von dem ich erzähle, war ich also super produktiv und habe gefühlt so viel gemacht wie in den ganzen drei Monaten davor nicht.

Zu einer Manie gehören aber noch viele andere Merkmale, wie zum Beispiel viel Geld auszugeben, weil man sehr leicht Entscheidungen trifft. In der Depression dagegen grübelt man sehr viel, ist sich unsicher und von allem überfordert.

Ein anderes Merkmal der Manie ist ein gesteigerter Sexualtrieb, auch mit wechselnden Partnern.

Semikolon: Wie gefährlich kann eine Manie sein?

Laura: Bei einem starken Sexualtrieb kann es zum Beispiel für Partnerschaften, aber auch, wenn man sich in diesem Zustand nicht vor Geschlechtskrankheiten schützt, gefährlich werden.

Auch mit dem Geld ist es schwierig, es gibt Menschen, die sich bis in die Millionen verschulden oder ihre Häuser verlieren.

Die Manie kann existenzielle Probleme hervorrufen. Die Energie, die man erst mal hat, produktiv zu sein, das wirkt auf den ersten Blick gut. Ich war auch erfolgreich damit. Aber irgendwann wird es immer mehr und dann kippt der Moment, weil es anstrengend und zu viel für dich selbst, aber auch für das soziale Umfeld wird . Du kannst einfach nicht mehr mit der Person zusammensitzen, sie quasselt die ganze Zeit, ist überdreht und hat keine Aufmerksamkeit für dich, sondern ist immer schon beim nächsten, beim nächsten und beim nächsten und gar nicht mehr zugänglich. Das ist irgendwann fast wie ein Identitätsverlust, weil man nur noch in der eigenen Realität schwimmt. Wenn man das nicht behandelt, kann es auch psychotisch werden.

Semikolon: Wie fühlt es sich an, wenn eine manische Phase vorbei ist?

Laura: Das Schamgefühl danach ist groß und macht die darauffolgende Depression noch viel schlimmer, weil man niemandem mehr in die Augen schauen kann und sich nicht aus dem Haus traut. Man steht vor einem Scherbenhaufen und es fühlt sich an als hätte man alles zerstört, vor allem soziale Beziehungen.

Der Weg in die Klinik

Semikolon: Wie hat dein Umfeld auf deine Erkrankung reagiert?

Laura: Das war wirklich schwierig, besonders in der Manie. Wenn du deine Tochter, Schwester oder Freundin geliebt hast, dann bleibt das auch. Aber es ist nicht mehr die Person, die du kennst.

Bei mir sind auch einige Freunde und meine Beziehung weggebrochen, eine vierjährige, wirklich schöne Beziehung.

Ich war damals sehr enttäuscht und traurig, verlassen zu werden. Gleichzeitig habe ich ständig neue Leute gesucht und kennengelernt.

Meine Familie ist an meiner Seite geblieben, auch wenn es zum Teil wirklich dramatisch war. Ich habe eigentlich einen sehr guten Zusammenhalt mit meiner Familie, aber selbst die waren irgendwann am Ende mit den Nerven. Unser Verhältnis hat dann mehrmals kurz vor dem Kontaktabbruch gestanden, was schon krass ist. Wir hatten dann viele Notfallgespräche, zum Beispiel mit der Caritas.

Semikolon: Wie waren diese Gespräche?

Laura: Naja, man kann eine Person zu nichts zwingen, solange sie keine Gefahr für andere oder für sich selbst ist. Ich war immer gut darin, Ärzten vorzuspielen, dass doch alles gut sei, dass ich doch studiere und so weiter. Für eine halbe Stunde lang konnte ich mich immer gut verkaufen.

Ich weiß, die anderen haben nach Hilfe gesucht, aber man konnte nichts machen. Darunter hat meine Familie sehr gelitten. Gleichzeitig sind wir dadurch auch sehr zusammengewachsen. Jetzt, wo ich wieder stabil im Leben stehe, merke ich, dass noch mal ganz viel Vertrauen entstanden ist.

Semikolon: Wann hattest du deine letzte manische Phase?

Laura: Meine letzte richtige Manie war 2020. Ich war ganz allein in meiner WG und habe es nicht gut ausgehalten. Ich habe viel Scheiß gemacht und hatte Probleme mit der Polizei, habe mehrere Anzeigen bekommen, die dann wieder fallengelassen wurden. Das war alles nichts schlimmes, aber trotzdem ging es ziemlich ab. Es ist darin gemündet, dass ich eine Freundin in Amsterdam besucht habe, aber eigentlich gar nicht bei ihr war, sondern nur in der Stadt feiern. Es ist ziemlich eskaliert und ich war mehrmals im Krankenhaus, mit einer 24-stündigen Panikattacke.

Ich habe mich komplett verloren. Mein Vater und meine Cousine haben mich schließlich aus Amsterdam abgeholt, auf halber Strecke mein Bruder dann abgelöst. Ich war total reizbar und habe mit Flaschen geworfen. Irgendwann hat mein Bruder die Polizei angerufen.

Semikolon: Was ist dann passiert?

Laura: Ich war sechs Wochen auf der geschlossenen Psychiatrie, auf fünf verschiedenen Stationen. Dort habe ich wirklich traumatische Erfahrungen gemacht.

Im Sommer, bevor die Uni losgegangen wäre, bin ich wieder entlassen worden. Da habe ich das erste Mal gedacht, okay, vielleicht ist es nicht gut, wenn es so weitergeht: Depression und dann die Manie im Ausgleich. Ich habe mich dazu entschieden, noch einmal in eine Klinik zu gehen. Da hatte ich – auch durch die Coronapandemie – das erste Mal das Gefühl, nicht funktionieren zu müssen. Sonst war ich davon immer sehr getrieben: Ich muss die Schule abschließen, ich muss studieren, ich muss meine Karriere vorantreiben, ich muss immer weitermachen. Diese Glaubenssätze zu erkennen, war sehr wichtig für mich.

Ich habe dann ein Urlaubssemester genommen und bin in eine auf bipolare Störung spezialisierte Uniklinik in Würzburg gegangen. Zu dieser Zeit war ich leicht depressiv, habe dann aber die richtigen Medikamente bekommen. Ich war einen Monat stationär und dann zweieinhalb Monate in der Tagesklinik. Im Februar 2021 bin ich entlassen worden.

Seitdem bin ich soweit stabil, würde ich sagen.

Bipolarität im Alltag

Semikolon: Nimmst du weiterhin Medikamente?

Laura: Ja. Früher habe ich aber oft so getan, als würde ich mich behandeln lassen und Medikamente nehmen, was ich aber nicht getan habe, weil ich mich nicht mit der Krankheit auseinandergesetzt habe.

Semikolon: Hast du Angst vor weiteren manischen oder depressiven Phasen?

Laura: Nein. Ich kenne mich gut mit meiner Krankheit aus und habe mich von der Angst, darüber zu sprechen, freigemacht. Ich bin schon durch so viel Mist gegangen und hätte oft sterben können, bei so vielen gefährlichen Dingen, die ich gemacht habe. Aber ich bin noch hier und will das Beste daraus machen.

Semikolon: Wie beeinflusst die bipolare Störung deinen Alltag heute?

Laura: Das ist schwer zu beantworten. Meine Medikamente helfen sehr. Aber auch das ist etwas, worum man sich kümmern muss und was den Alltag beeinflusst, ich darf deswegen zum Beispiel nicht viel Alkohol trinken. Dazu kommen Termine bei Ärzten und Psychotherapie. Als ich aus der Klinik entlassen wurde, ist ein Helfernetzwerk mit mir aufgebaut worden und ich hatte eine Sozialpädagogin, die mir zweimal in der Woche geholfen hat.

Es ist auch einfach viel Bürokratie, ich habe zum Beispiel einen Schwerbehindertenausweis.

Ansonsten merke ich, dass ich nicht so viel Power habe wie viele andere. Dafür bin ich ziemlich kreativ und sehr emotional und empfindsam. Besonders bei Streits merke ich das.

Semikolon: Was würdest du Menschen raten, die Menschen mit einer bipolaren Störung in ihrem Umfeld haben?

Laura: Ich glaube, es ist eine traurige Erkenntnis von mir, dass ich erstmal alleine da durch musste.

Ich denke aber, wenn man wirklich guter Freund oder eine gute Freundin ist, dann ist es wichtig, die Person nicht zu verlassen. Das ist nicht einfach. Aber auch wenn sie gerade eine schwere Phase hat, hält das nicht für immer an. Natürlich kann man sich auch mal rausnehmen, wenn es zu hart ist. Aber “das sinkende Schiff” zu verlassen ist auch hart. Menschen, die auf Augenhöhe mit mir geblieben sind und versucht haben, konstruktiv zu sein, haben mir sehr geholfen. Auch wenn ein Mensch mit bipolarer Störung manchmal kaum erreichbar scheint und sich unmöglich aufführen kann. Wenn man dann von oben herab spricht, macht das alles nur noch schlimmer. Aber das braucht sehr viel Geduld und Ausdauer.

Semikolon - Nachgefragt

Semikolon: Sollten wir mehr über psychische Erkrankungen sprechen?

Laura: Ja, denn das kann jeden betreffen. Und wenn nicht durch eine eigene Erkrankung, dann durch die Familie oder den Freundeskreis. Ich habe schon erlebt, wie Existenzen zerstört wurden, weil psychische Erkrankungen nicht akzeptiert oder darüber geredet wurde. Durch offene Kommunikation können viele Probleme gelöst werden. Das schaffen wir aber nur, wenn wir damit auch anfangen und das Thema behandeln wie andere Erkrankungen auch. Das ist ein Standart-Satz, aber leider wahr. So viele Menschen haben Berührungsängste oder sind überfordert, wenn es um psychische Erkrankungen geht. Es ist aber, wenn man es so sagen will, einfach eine Krankheit im Kopf, eine Stoffwechselstörung.

Semikolon: Was kann jede:r zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beitragen?

Laura: Es ist wichtig, seinen Mitmenschen auf Augenhöhe, mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen. Jede und jeder kann so viel beitragen, wenn sie oder er die Augen offen hält. Im schnelllebigen Alltag haben wir manchmal nicht die Kapazitäten zu sehen, wenn es jemandem schlecht geht. Aber für so etwas sollten wir uns die Zeit nehmen.

Dieser Beitrag wurde von einer ärztlichen Psychotherapeutin redigiert. 

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Maja

“Psychische Erkrankungen begegnen uns häufiger als wir denken. Wir müssen hinsehen und darüber reden.”