Zeichnung Luna Jess im Interview über Schlafstörung

Jessica alias Lunar Jess – Über Schlafstörung

Wenn das Gehirn nachts um drei auf Hochtouren läuft

„gedankenchaos. mental health & adhs awareness“ steht in der Instagrambiografie von Jessica, die im Internet unter dem Namen „Lunar Jess“ aufritt. Nicht nur auf Instagram spricht sie offen über Therapie, ihre PTBS, Schlafstörungen und ihre neue Diagnose ADHS, sondern auch andere Plattformen, fast alle Arten, die es gibt, bespielt sie. Und das mit Erfolg: Auf ihrem YouTube-Kanal schauen ihr über 90.000 Menschen zu, wie sie vegan Rezepte teilt und über ihre psychische Gesundheit spricht. Auch in ihrem Podcast „Gedanken von letzter Nacht“ ist es das zentrale Thema. Über diese Gedanken der letzten Nacht, das Grübeln beim nicht schlafen können und nachts wach liegen, spricht Jessica im Interview mit Semikolon.

Inhalt

Schlafstörung - was ist das?

Semikolon: Wie hast du geschlafen?

Jessica: Ganz in Ordnung. Gestern war ein sehr ereignisreichen Tag und ich habe Sport gemacht. Ich bin um 22:00 schlafen gegangen und um 6:20 aufgestanden. Das ist mein gewohnter Rhythmus.

Semikolon: Wie hast du dich dazu entschieden, auf Social Media offen über deine psychische Erkrankung zu sprechen?

Jessica: Das hat zeitgleich damit begonnen, dass ich mich in Therapie begeben und bemerkt habe, dass viel zu wenig über das Thema geredet wurde.

Ich wurde selbst von der YouTuberin Fräulein Chaos dazu inspiriert, zur Therapie zu gehen. Vorher hatte ich die Möglichkeit gar nicht auf dem Schirm, weil ich das Gefühl hatte, dass Therapie nur für Leute ist, denen es wirklich sehr schlecht geht. Ich dachte, dass meine Probleme nicht schlimm genug sind, um mir Hilfe zu suchen. Mein eigener Weg hat dazu geführt, selbst offen darüber zu reden, um anderen Leuten zu helfen und das Thema zu endstigmatisieren

Semikolon: Du sprichst in diesem Rahmen immer wieder über Schlafstörungen. Was ist eine Schlafstörung eigentlich?

Jessica: Ich denke, eine Schlafstörung tritt dann auf, wenn Schlaf ein großes Thema für einen ist, weil er das tägliche Leben bestimmt und erschwert. Wenn der Tag darum kreist, dass man nicht schlafen kann und erschöpft ist. Und dann liegt man abends im Bett und die Gedanken kreisen sich wieder darum und man sich fragt: Mist, was passiert, wenn ich schon wieder nicht schlafen kann? Ich glaube, das ist es eine Schlafstörung.

Semikolon: Es gibt unterschiedliche Ausprägungen von Schlafstörungen. Wie ist das bei dir?

Jessica: Bei mir ist hauptsächlich das Durchschlafen ein Problem. Ich wache nachts auf, bin komplett wach und mein Gehirn läuft auf Hochtouren. Aber es hat sich in den letzten Monaten ein bisschen verbessert, weil ich mich intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt habe.

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Schlafroutine und -hygiene

Semikolon: Wie hast du dich damit auseinandergesetzt?

Jessica: Ich habe meine Schlafhygiene durch Techniken aus der Verhaltenstherapie (mehr dazu erfährst du hier) verbessert. Das bedeutet, dass ich jeden Tag einen festen Block für Schlaf habe. Außerdem schlafe ich tagsüber nicht, versuche früh ins Bett zu gehen und früh aufzustehen. Ich habe mich damit beschäftigt, welche Glaubenssätze ans Schlafen gekoppelt sind. Eigentlich ist es nicht schlimm, mal eine Stunde weniger zu schlafen, das macht am nächsten Tag nicht viel aus. Ich versuche, den Stress, den ich mir damit mache, zu reduzieren, damit sich mein Kopf nachts nicht verselbstständigt.

Semikolon: Wie sieht deine Schlafroutine konkret aus?

Jessica: Früher habe ich es oft nicht geschafft, vor zehn oder elf Uhr aus dem Bett zu kommen. Das zu verändern, ist viel Arbeit gewesen und ich musste viel ausprobieren. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass ich besser schlafen kann, wenn ich am Tag körperlich ausgelastet bin und Sport mache. Mittlerweile versuche ich gegen halb zehn Richtung Bett zu gehen. Dann mache ich zehn Minuten progressiver Muskelentspannung und höre entspannte Musik. Auf jeden Fall kein Social Media vor dem  Schlafengehen, das ist für mich wichtig. Und ich habe aufgehört, Koffein zu trinken, das hilft mir auch. Morgen stehe ich um zwanzig nach sechs auf. Laut meiner Uhr schlafe ich dann insgesamt ca. sieben Stunden. Damit komme ich ganz gut klar.

Semikolon: Du hast also einen genauen Überblick über deinen Schlaf?

Jessica: Ja. Wenn ich mir meine Daten von vor ein paar Jahren ansehe, dann ist das schon erschreckend. Ich bin zum Beispiel sehr unregelmäßig schlafen gegangen, oft erst nachts um drei. Damit habe ich das Grundproblem, glaube ich, noch schlimmer gemacht. Jetzt versuche ich meinen Rhythmus beizubehalten, auch am Wochenende.

Semikolon: Seit wann begleiten dich deine Schlafstörung?

Jessica: Ich kenne es seit meiner Kindheit nicht anders. Das war immer ein Begleiter. Aber in Phasen, in denen es mir psychisch besonders schlecht ging, hat es mich noch mehr belastet.

Schlafstörung und Alltag

Semikolon: Welchen Einfluss hatte deine Schlafstörung auf deinen Alltag?

Jessica: Ich habe nichts hinbekommen. Ich arbeite selbstständig. Das Gute und Schlechte daran ist, dass ich mir den Tag frei einteilen kann. Aber wenn ich erst um 11:00 aus dem Bett und dann langsam in den Gang gekommen bin, war der Tag irgendwie gelaufen. Mir fiel es schwer, meinen Tag zu strukturieren. Dann hat der halbe Tag auf der Couch stattgefunden. Das war ein Teufelskreis. Wenn ich mich nicht bewege und körperlich auslaste, schlafe ich abends schlecht. Und wenn ich am nächsten Tag wieder spät aus dem Bett komme, bin ich abends nicht müde genug, um zu schlafen.

Semikolon: Wie hat dein Umfeld auf deine Schlafstörung reagiert?

Jessica: Es war mir unangenehm, wenn ich erst spät aufgestanden bin. Ich habe mich geschämt, weil ich dachte, alle anderen sind schon seit sieben Uhr wach und fit, aber ich schaffe das einfach nicht. Das macht etwas mit dem Selbstwertgefühl, obwohl mir von Außen wenig Negatives entgegengebracht wurde.

Schlafstörungen und psychische Erkrankungen

Semikolon: Wie träumst du?

Jessica: Ich habe seit meiner Kindheit Albträume. Manchmal habe ich dann auch Angst, wieder einzuschlafen, weil ich nicht will, dass der Traum weitergeht. Es gibt ein Motiv, was immer wiederkommt. Das ist eine Verfolgung und die Angst, dass ich getötet werde. Ich empfinde sehr intensiv, auch wenn ich schlafe. Manchmal ist es dann schwer für mich, die Traumwelt von der Realität zu unterscheiden, wenn ich aufwache. Durch meine Therapie ist das aber zum Glück besser geworden.

Semikolon: Schlafstörungen treten oft als Begleiterkrankung anderer psychischer Erkrankungen auf. Ist das bei dir auch so?

Jessica: Ja, ich denke, dass es an meine depressiven Episoden (wenn du mehr über Depression wissen willst, ließ hier weiter) und PTBS (wenn du mehr über PTBS wissen willst, ließ hier weiter) gekoppelt ist. Nicht aufgearbeitete Traumata sind hochgekommen. Das war der Auslöser bei mir. In den Albträumen hat sich widergespiegelt, dass  es nur die Spitze des Eisbergs ist und noch viel mehr darunter liegt. Insgesamt habe ich aber auch lange nach Diagnosen gesucht.

Semikolon: Kannst Du das genauer erklären?

Jessica: Nach dem Ende meiner Therapie habe ich gedacht, dass ich trotzdem vieles an mir noch nicht verstehe. Ich dachte, ich hätte einen Tumor, Alzheimer oder sonst was. Durch meine Follower bin ich dann auf das Thema ADHS gekommen und bin zu einer anderen Therapeutin, einem Neurologen und Psychiater gegangen. Schließlich habe ich die Diagnose ADHS bekommen (mehr über Jessicas ADHS-Diagnostik hier). Ich glaube, die Schlafstörung an mein ADHS gekoppelt und daran, dass ich das Problem habe, nicht zur Ruhe kommen zu können.

Was kann man bei schlechtem Schlaf tun?

Semikolon: Wann warst du wegen der Schlafstörung das erste Mal beim Arzt?

Jessica: 2016 war ich bei meinem Hausarzt. Er hat mich zu einer Therapie überwiesen und zur Überbrückung ein ziemlich starkes Antidepressivum verschrieben. Das habe ich aber nur kurzfristig genommen. Mit meiner ersten Therapie kam ich gar nicht klar und habe dann ein halbes Jahr Pause gemacht. Danach habe ich eine analytische Therapie begonnen. Und jetzt, im Rahmen der ADHS-Diagnose, habe ich noch mal ein paar Sitzungen bei einer anderen Therapeutin.

Semikolon: Was würdest du anderen raten, die von einer Schlafstörung betroffen sind?

Jessica: Schlafhygiene! Sich also wirklich zu überlegen: Wann schlafe ich? Dann muss man einmal den gewohnten Zyklus durchbrechen. Dranzubleiben ist das Wichtigste. Meine jetzige Routine zu bekommen hat zwei bis drei Monate gedauert. Ich kann mir auch vorstellen, dass auch viele Leute davon profitieren, kein Koffein zu sich zu nehmen. Außerdem ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass das Bett wirklich nur ein Platz zum Schlafen und für sexuelle Aktivität ist. Ich habe das mittlerweile klar assoziiert: Das Bett ist zum Schlafen da, nicht zum Chillen oder arbeiten.

Semikolon: Hast du einen Tipp, was hilft, wenn man nachts wach liegt?

Jessica: Ich habe von Expert:innen gehört, dass es helfen soll, in einen anderen Raum zu gehen, dort mit Stift und Papier alles aufzuschreiben, was gerade im Kopf ist und erst ins Bett zu gehen, wenn der Kopf leer und man wieder müde ist. Das habe ich aber selbst noch nicht ausprobiert. Insgesamt rate ich vor allem dazu, sich professionelle Hilfe zu suchen.

Das Interview wurde im Mai 2022 via Zoom geführt

Dieser Beitrag wurde von einer ärztlichen Psychotherapeutin redigiert. 

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Maja

“Psychische Erkrankungen begegnen uns häufiger als wir denken. Wir müssen hinsehen und darüber reden.”